Betriebsanleitungen zu Haushaltsgeräten werden nicht gelesen.
Vorworte in Büchern werden nicht gelesen.
Protokolle von Sitzungen werden nicht gelesen.
Gebrauchsanweisungen zur Herstellung von Malerfarben werden nicht gelesen.
Packungsbeilagen bei Arzneimittel werden nicht gelesen.
Fussnoten in Zeitschriften werden nicht gelesen.
Kleingedrucktes auf Versicherungspolicen wird nicht gelesen.
Arbeitsrapporte vom Servicemonteur der Heizungsanlage werden zwar unterschrieben, aber nicht gelesen.
Warum um Himmelswillen werden sie dann geschrieben?
Bedienungsanleitung.
Ich bin doch nicht blöd, ich weiss wie der neue Mikrowellenherd funktioniert. Eben nicht. Die Kartoffeln wurden nicht weich. Reumütig kriecht man zu Kreuze, nach Canossa. Jetzt nimmt man das Büchlein, welches mit dem Gerät mitgeliefert wurde, zur Hand. Aber nein! Ist das Deutsch? Natürlich, das Produkt kommt aus China. Genauso chinesisch ist die Abfassung der Gebrauchsanleitung. Es ist offenbar, die Chinesen haben eine andere Logik als wir Europäer. Dann die seitenlangen Warnungen. «Ein lebendiges Schosshündchen darf nicht im Mikrowellenofen getrocknet werden.» Wer würde das schon tun? Wahrscheinlich wurde das Manuskript von einem Computer übersetzt. Damit sind meine Härdöpfel immer noch nicht lind. Ich rufe den Lieferanten an. Jetzt geht es los! «Wenn Sie einen deutschsprachigen Service wünschen, drücken Sie die Taste eins» «Wenn Sie eine Bestellungen platzieren möchten, drücken Sie die zwei» «…drücken Sie die drei» «….drücken Sie die vier». « Leider sind alle unsere Mitarbeiter am Telefon besetzt. Bleiben Sie am Apparat. Sie werde so bald wie möglich bedient.» Endlich am Ziel. Jetzt darf ich sechs Minuten lang die neuesten Popsongs anhören.
Vorwort
Warum hat jedes Buch ein Vorwort? Es ist der einzige Ort, wo der Autor seine volle Freiheit entfalten kann. Hier kann er schreiben, was er will. Die einzigen paar Zeilen, die nicht vom Lektorat korrigiert werden. Endlich ist das Werk vollendet. Das muss die Welt doch wissen. Wie viel Mühe und Schweiss es gekostet hatt . Geduld und Enttäuschung der Recherche müssen vermittelt werden. Den ewigen Kampf mit den Charakteren seiner Protagonisten muss der Leser miterleben. Von den tausenden von Stunden am PC ganz zu schweigen. Beinahe wäre seine private Paarbeziehung zerbrochen. «Du bist in Deinen PC verliebt, nicht in mich.» Das alles musste der Verfasser durchmachen und erleiden. Das soll der Leser wissen. Er soll die Pein mitfühlen. Erst dann darf er mit der Lektüre beginnen. Doch er der kluge Leser, überspringt das Vorwort und begnügt sich mit dem Klappentext. Dort entscheidet sich, ob er das Werk überhaupt lesen will.
Protokolle
einer Besprechung oder einer Sitzung sollen festhalten, was besprochen wurde. Möglichst knapp, möglichst genau. Nur, wer an der Sitzung teilnahm, weiss ohnehin was gelaufen ist. Der braucht die Geschichte nicht noch einmal zu lesen. Dem entschuldigt abwesend Gewesenen nützen sie auch nichts. Sie geben die dannzumal herrschende Stimmung an der Sitzung nicht wieder. Um sich ins Bild zu setzten greift er verzweifelt zum Telefon. Warum dann überhaupt diese Mühsal, ein Protokoll zu verfassen? Es wird nur für die Querulanten und die Juristen gemacht. Erstere damit sie sich bei der Protokollabnahme, an der nächsten Sitzung profilieren können. Endlich haben auch sie eine Plattform auf der sie in epischer Breite brillieren können. Sie meckern an ein paar Formulierungen herum. Wünschen stilistische Korrekturen. Das war’s dann. Zu den übrigen Traktanden haben sie nichts Substanzielles mehr bei zu tragen. Die Juristen hingegen, die wittern Mandate. Für sie sind Protokolle die Äcker, auf denen sie ihre Honorare ernten. In jedem Protokoll finden sie Formulierungen, die mit Verträgen geschützt werden müssen. Es sei denn, die Firma will riskieren vor Gericht zu kommen, um Geld und Ehre zu verlieren.
Für die Gebrauchsanweisungen gilt dasselbe wie für die Betriebsanleitung.
Packungsbeilagen
Die pharmazeutischen Industrie wirbt in jedem Fernsehspot dafür, die Packungsbeilagen aufmerksam zu lesen. Nicht vergessen, den Arzt oder den Apotheker zu befragen. Nur wer tut das schon? Es besteht die Gefahr, von den zur Kenntnis genommenen Nebenwirkungen, erst recht plötzlich krank zu werden. Im Übrigen sind die Beipackzettel viel zu lang. In viel zu kleiner Schrift geschrieben. In viel zu vielen Sprachen übersetzt. Der deutsche Text ist kaum auffindbar. Nach beendeter Lektüre ist man dann so klug als wie zuvor. Viel zu kompliziert das Ganze.
Fussnoten
sind die Bestätigung des Fleisses des Autors. Sie sind der Beweis für seine Gründlichkeit. Sie sind auch der Nachweis, dass er noch viel mehr über das Thema weiss. Leider würde es der arme Leser, in seiner Beschänktheit, ohnehin nicht verstehen. Wehe der aufmerksame Leser findet im vorliegenden Text eine Passage von dem er mehr wissen möchte. In der Fussnote findet er den Hinweis «loc. sit». Wo aber ist die «schon zitierte Stelle»? Schwer zu finden, es wimmelt nur so von «loco citato» und «a.e.a.O an einem anderen Ort». Irgendwann gibt der nach Wissen Suchende erschöpft auf. Der Verfasser ist beruhigt, er hat die Literaturstelle erwähnt. Der Bücherwurm ist verärgert. Er kam nicht bis an die Quelle. Noch schlimmer sind die Endnoten am Schluss des Artikels, des Buches. Die sind nur für den Verfasser wichtig. Wer blättert schon ständig hin und her. Meistens verliert man dabei den Faden und klappt das Buch verärgert zu.
Kleingedrucktes
wird klein gedruckt, damit man nicht in Versuchung kommt den Text zu lesen. Juristenfutter.
Arbeitsrapport.
Den sollte man eigentlich genau lesen, weil dort die Arbeitsstunden und die vielen Ersatzteile (von denen nie der Preis angegeben wird) aufgeführt sind. Auf die Frage, ob die vielen neuen Bauteile die ersetzt wurden, auch wirklich am Ende ihrer Lebensdauer waren, gibt es keine eine Antwort. Es ist ja bekannt, die Lieferanten stossen sich gerne über die Serviceleistungen gesund.
Warum haben wir denn eigentlich schreiben und lesen gelernt? Der Mensch hat immer ein Bedürfnis gehabt sein Wissen für die Nachwelt zu erhalten. Bis ins 15. Jahrhundert geschah das in den Klöstern. Die Mönche verfassten von Hand wichtige Bücher, in lateinischer Sprache. Johannes Gutenberg, der Goldschmied aus Mainz, erfand den Buchdruck. Genauer er erfand die Druckerpresse mit den beweglichen Lettern. Das erlaubte relativ kostengünstig und schnell die Erstellung von längeren Texten in grösseren Auflagen herzustellen. Martin Luther profitierte davon. Er übersetzte das Neue Testament ins Deutsche und liess es drucken. Damit waren biblische Inhalte dem einfachen Volk zugänglich. Es lohnte sich auch für die Bürger, lesen zu lernen um an der plötzlich erscheinende Flut von Nachrichten und Geschichten heranzukommen. Die Zeitungen entstanden. Man schrieb sich Briefe. Eine völlig neue Form der Übermittelung von Meldungen war möglich geworden. Schnell, übersichtlich und präzise.
Jedermann lernte lesen und schreiben. Ein Meilenstein in der Entwicklung der Kultur.
Die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. Sie reifte heran. Die Massenpresse, das Radio, die Wochenschau im Kino, das Fernsehen, die Tagesschau, und das Internet entstanden. Noch nie hat sich die Kommunikationswelt so schnell verändert wie heute. Und noch nie waren Informationen so leicht zugänglich wie im digital vernetzten Zeitalter.
Ein wichtiger Vorfall, ein Vulkanausbruch zum Beispiel, wird heute innert Minuten überall auf der Welt bekannt. Im Stundentakt werden wir mit wegweisenden, meistens aber völlig unwichtigen Nachrichten bombardiert. Das meiste kommt schriftlich daher. Lesen können ist ein Muss. Aber müssen wir wissen, dass Heidi Klum sich von Seal getrennt hat? Dass in Pakistan ein Attentat verübt wurde? Das ein Postauto gegen einen Baum geprallt ist? Rolf Dobelli – ein Experte in der Kunst des klaren Denkens – hat mir gelehrt: «Hände weg von News.«
Es gibt viele Gründe, einen Bogen, um News herum zu machen. Hier nur ein einziger:
«Unser Hirn reagiert unverhältnismässig stark auf skandalöse, schockierende, personenbezogene, laute, schnell wechselnde Reize – und unverhältnismässig schwach auf abstrakte, komplexe und deutungsbedürftige Informationen. News-Produzenten nutzen dies aus. Packende Geschichten, schreiende Bilder und aufsehenerregende Fakten fesseln unsere Aufmerksamkeit. So funktioniert nun einmal das Geschäftsmodell. Die Werbung, die den News-Zirkus finanziert, wird nur verkauft, wenn sie gesehen wird. Die Folge: Alles Feinsinnige, Komplexe, Abstrakte und Hintergründige muss systematisch ausgeblendet werden, obwohl diese Inhalte für unser Leben und das Verständnis der Welt oft relevanter sind. Als Folge des News-Konsums spazieren wir mit einer falschen Risikokarte in unseren Köpfen umher. News-Konsumenten gewichten die meisten Themen völlig falsch. Die Risiken, von denen sie in der Presse lesen, sind nicht die wahren Risiken.“
Das ist die Meinung von Dobelli. Das hat mir eingeleuchtet. Ich meide News, wie der Teufel das Weihwasser. Statt News lese ich lange Hintergrundartikel. Mich nehmen fundierte Analysen in den Bann. Ich kann seither viel klarer Denken. Wertvolle Einsichten tun sich auf. Und vor allem: Ich habe viel mehr Zeit.
Fazit. Unterscheide zwischen nichtlesen und lesen.
Hinterfrage kritisch jede Information.
Gewichte die Aussagen.
Stelle relevante Zusammenhänge her.
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