Unkraut

Unkraut

Dieses Jahr haben wir wieder einmal einen echten Winter erlebt. Viel Schnee, tiefe Temperaturen und genügend Sonnenschein. Ideale Verhältnisse zum Skifahren.
Die Natur konnte unter solchen Bedingungen ihre Winterruhe richtig geniessen.
Ende Februar dann, übertreibt es die Sonne. Viel Sonnenschein – zwar begleitet von kühlem Wind – so früh im Jahr, das war die grosse Ausnahme. Die Natur erwacht schon langsam aus ihrem Winterschlaf. Ein Kohlmeisen Ehepaar besucht bereits den Nistkasten an der Eiche. Das Nest wird vorbereitet. Ebenso die Amsel. Mit einem grossen Zweig im Schnabel versteckt sie sich in der Tanne daneben. Hoch oben in der Birke sind zwei Elstern daran, alles für das Gelege vorzubereiten. Ein Zitronenfalterpaar ist bereits auf Hochzeitsreise.
Unten im Garten strecken die Schneeglöcklein ihre weissen Blüten vorwitzig in die Luft. Die Narzissen lassen nicht auf sich warten. Ihnen folgen die Krokusse. So wird das Revier immer bunter, immer farbenfroher. Lieblich entfaltet sich die Schönheit der Flora und der Fauna. Daneben, frech und wild,  wuchert das Unkraut.
Für die einen ein Ärgernis. Verständlich. Andere nehmen Unkraut im Garten mit Gelassenheit. Etwas weniger verständlich. Hand aufs Herz: Unkraut im Ziergarten nervt!
Ist dieser Gast im Vorgarten denn wirklich so unerwünscht? Die Vorsilbe «un» ruft in der deutschen Sprache ungewollt Unbehagen hervor. Undank, Unwetter, Untat, Ungnade, Unsinn. Lauter Begriffe welche ungemütlichen, unedlen Inhalt ankündigen.
Aber Unkraut; das ist doch auch nur ein Kraut, wie Erika oder die Christrose. Gar nichts Ungewöhnliches.
Am Waldrand spriesst eine Gruppe von Brennnesseln. Zweifellos ein Unkraut, welches aber in dieser Umgebung sehr schön und auch noch dazu passend wirkt.
Wenn der Frühling seine volle Kraft entwickelt hat, wie schön wirkt da eine Weide voller Löwenzahn. Ein stolzes Gelb, welches nur die Natur hervorbringt. Kein noch so begabter Kunstmaler könnte es nachahmen. Oder eine Matte übersät mit Massliebchen. Hier spricht kein Mensch von Unkraut.
Im Rasen ist der Löwenzahn ein Störenfried, der gehört gejätet, Massliebchen ebenfalls. Katzenschwanz ist im Kartoffelacker ebenso unerwünscht, wie Disteln im Lauchbeet des Gemüsegartens.
Immer ist es dasselbe Gewächs. Einmal eine schöne Blume. Ein anderes Mal Unkraut.
Da packt es mich, über schön und Plage etwas nachzudenken. Ich empfinde Unkraut als schön. Das ist vielleicht übertrieben, aber was heisst eigentlich schön? Schön oder hässlich, in meinem Garten wird das Unkraut entfernt. Mit Stumpf und Stiel. Die vorbei spazierenden Nachbarn sollen doch nicht meinen, ich pflege meinen Garten nicht!
Gut ist nicht immer gut. Schön ist nicht immer schön. Wo ist denn da noch die Realität?
Eine Rose, ein Rosenbeet ist schön. Es hinterlässt einen angenehmen Eindruck, ein allgemeines Gefallen.
Wenn in einer Galerie zum Beispiel, viele Betrachter finden «Mir gefällt dieses Bild ‘Buste de femme au chapeau bleu’ von Picasso,» so ist es deswegen noch lange keine Schönheit. Es gibt eine Menge Besucher, welche dieses Dureinander von Farbflächen und bizarren Formen hässlich finden.
Mit der Schönheit ist es offenbar so eine Sache. Absolute Schönheit gibt es nicht. Es ist der Verstand welcher etwas als schön beurteilt oder auch als hässlich. Der Verstand eines jeden Einzelnen.
Mir gefällt Unkraut, als ein Teil der lebenden Natur, weil es so stark, kräftig und ungestüm wächst. Hartnäckig überlebt es die nachhaltigsten Angriffe mit Hacke, Schaufel und Unkrautvernichter. Immer kommt es zurück. Überheblich und selbstsicher! Den Gärtner nicht in Ruhe lassend.
Trotzdem hasse ich Unkraut auch, wenn es dort spriesst, wo es nicht hingehört. Im Rosenbeet, im Gemüsegarten, im Rasen. Klare Sache.
Weit weniger klar ist es mit Schönheit und Unschönheit.
Eine abstrakte Sache eben, eine private Empfindung. Wie beim Unkraut: Einmal ist  dasselbe Gewächs schön, ein andermal störend und wüst.

Wenn mir etwas gefällt, finde ich es schön. Schön nur für mich. Es bleibt meine private Schönheit. Mein schönes Unkraut.

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