Augenmass

Augenmass ist plötzlich wieder in aller Munde. Augenmass läuft Gefahr, zum »Wort des Jahres« zu werden. Besser gesagt als in aller Munde; es ist in jeder Feder. Wir finden das Wort in Texten bekannter Autoren, Kolumnisten und Schriftsteller. Ursprünglich verstand man unter Augenmass die Fähigkeit eine Messgrösse, zum Beispiel die Grösse eines Mannes, recht genau abschätzen zu können. Messen mit den Augen. Nicht auf den Millimeter genau, doch erstaunlich präzise.
In neuerer Zeit nun, hat der Begriff eine zweite Bedeutung bekommen. Einfach gesagt, steht er für «mit gesundem Menschenverstand». Vor allem Politiker lieben ihn oft zu verwenden. Verstanden wird darunter so etwas wie Toleranz. Wie zumutbare Ausnahme von der Regel. Verkraftbare Abweichungen von einer Vorschrift.
Was macht das Wort plötzlich so aktuell? Warum wird immer mehr Augenmass gefordert? Weshalb dieses Verlangen nach einer Ausnahme? Bevor eine Antwort auf diese Frage gegeben wird, eine kurze Geschichte zur Verdeutlichung.
Der Fall liegt lange zurück. Vor mehr als zehn Jahren wurde ein Knabe von einem Pitbull zu Tode gebissen. Der Pitbull gehört zu den aggressiven Hunderassen. Es ist eine Kreuzung zwischen Terrier und Bulldogge und wurde ursprünglich als Rattenfänger eingesetzt. Solche kompakten Hunde wurden früher, als dies noch erlaubt war, für Hundekämpfe gezüchtet. Heute dienen sie als Wachhunde. Der Kampfwille ist ihnen geblieben. Der Halter muss sich bewusst sein, eine Kampfmaschine zu besitzen die streng erzogen werden muss, damit sie sich vom Hundeführer leiten lässt. Es darf nicht zu einem Angriff auf einen Menschen kommen. Der Hund wird sonst zur Bestie.
Der schreckliche Vorfall von vor zehn Jahren konnte stattfinden, weil sein Halter ein verantwortungsloser Typ war. Er war nicht gewillt, sich um die gerechte Haltung eines gefährlichen Hundes zu kümmern.
In der Öffentlichkeit herrschte Empörung. Die Politik und die Behörden wurden aktiv. Gefährliche Hunde wurden verboten. Darüber hinaus mussten alle Hundehalter einen Hundekurs besuchen und bestehen. Alle Hunde mussten in die Schule! Nicht nur die aggressiven oder angsteinflössenden grossen Tiere. Alle, vom Bernhardiner und Schäferhund bis zum kleinsten, zierlichsten Pekinesen mussten, zusammen mit ihren Herrchen lernen, wie sich ein Hund in unserer Gesellschaft zu benehmen hat.
Nun gibt es in der Schweiz etwas mehr als eine halbe Million Hunde, die in Privathaushalten gehalten werden. Mangel herrschte an allen Ecken und Enden. Es gab zu wenig Hundeschulen. Zu wenig Standorte um Hundeausbildung aufzuziehen. Zu wenig geeignetes Personal. So kam es, wie es kommen musste. Beim Parlament setzte sich die Erkenntnis durch, diese Unverhältnismässigkeit abzusetzen.
Bei der ganzen Geschichte wurde übers Ziel geschossen. Es fehlte an Augenmass.
Wir wissen es. Das Leben ist nun mal lebensgefährlich. Immer wieder treten lebensbedrohende Einzelfälle auf. Das Risiko lässt sich nicht völlig neutralisieren, nicht völlig aus der Welt schaffen. Es lassen sich immer wieder Tatsachen finden, wo es an Augenmass fehlt. Überreaktionen der Verwaltung vielleicht.
Es gab einmal einen einzigen Todesfall in der Uhrenindustrie durch Vergiftung. Beim Reinigen von Zifferblättern mit Benzol starb eine Mitarbeiterin. Daraus entstand das Giftgesetz, welches eigentlich ziemlich unnötig ist. Es ist aus dem Druck der Empörung aus der Öffentlichkeit entstanden. Was übrig blieb, von dieser Überreaktion der Verwaltung, waren nur Erschwernisse für die Industrie. Mit etwas Augenmass wäre das zu vermeiden gewesen.
Es gibt weitere Einzelfälle, die zu einer Regulierung führten. Bestimmt wissen sie, lieber Leser, liebe Leserin das auch aus eigener Erfahrung. Schon höre ich aus einer Ecke unfreundliche Bemerkungen in Richtung Verwaltung und Amtsschimmel. Ich finde es ungerecht den Politikern und vor allem der Verwaltung Übereifer und Regulierungswut in die Schuhe zu schieben. Nach ereigneten Einzelfällen ist es die empörte Stimme des Volkes, die sich lautstark erhebt und nach Vorschriften, Regulierung und Gesetz ruft. Das geht genauso lange, bis zu dem Augenblick an dem einer der Rufer, selber mit seinem Dackel zum Hundekurs muss. Oder zu einer medizinischen Untersuchung um die Autofahrtüchtigkeit abzuklären.
Dass wir immer mit einem gewissen Risiko leben müssen, lässt sich mit Regeldichte nicht vom Tisch wischen. Mit dieser Tatsache müssen wir leben. Es kann nicht durch ein noch so dichtes Netz von Vorschriften völlig ausgeschaltet werden. Druck der öffentlichen Meinung erzeugt Gegendruck. Pikanterweise von der genau gleichen Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit empfindet Einengung. Eingeengt von einer Lawine von Vorschriften und Weisungen.
Darum ist heute das Wort »Augenmass« in aller Munde. Um die Frage »was ist jetzt eigentlich unter Augenmass zu verstehen?« kommen wir, hier angelangt, nicht herum.

Mit der Zunahme der hyperaktiven Berichterstattung der Medien, der Publikation über das Verhalten der Menschen und dem Vorschreiben der Verantwortung die wir scheinbar haben, ist das Leben komplizierter geworden.
Etwas Wichtiges ist verloren gegangen. «Die Sache gut sein lassen.» «Fünf gerade sein lassen.» «Unbedeutende Fehler akzeptieren.» »Sich selber nicht immer so wichtig nehmen.» Dieser Verlust verhindert heute meistens einen vernünftigen Einsatz von Augenmass. Im Grossen ist da wohl nicht viel zu verändern. Im Kleinen aber schon. Zulassen, dass der Baum des Nachbars etwas über die Grundstückgrenze hinauswächst. Oder der Rasenmäher beim andern Nachbar während der Mittagszeit in Betrieb ist. Oder am Rotlicht etwas Geduld im Autoverkehr, wenn der vor uns liegende Wagen nicht gleich bei grün startet und wegfährt.
So können wir einen guten Einsatz von Augenmass zurückgewinnen. Das Leben in der engsten Umgebung angenehmer, lockerer und gemütlicher gestalten. Wäre doch schön, mit etwas Augenmass!

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Jugeote

Dans la partie germanophone de notre pays, le terme Augenmass revient sur toutes les lèvres. Il risque même de devenir le “mot de l’année”. En fait, on ne le trouve pas seulement dans l’oral, mais surtout sous la plume d’auteurs connus, écrivains et chroniqueurs. Initialement, cette expression désignait la faculté d’apprécier une mesure, par exemple la taille d’un homme, avec une certaine exactitude. De mesurer à vue d’œil. Une estimation qui n’est pas au millimètre près, mais souvent étonnamment précise. Ce que nous appelons “avoir le compas dans l’œil”. Or, plus récemment le mot Augenmass a pris une deuxième signification qui veut dire, en simplifiant, “avec bon sens”. Appelons-le jugeote. Les politiciens se servent volontiers de ce terme. Il exprime quelque chose comme tolérance, exception acceptable de la règle ou appréciation lucide d’une  situation.
Pourquoi cette notion est-elle soudainement d’actualité? D’où vient ce besoin croissant de jugeote? Avant de répondre à ces questions, je vais évoquer une brève histoire pour illustrer mes propos.
L’évènement date de longtemps. Il y a plus de dix ans, un garçon a été mordu à mort par un Pitbull. Le Pitbull fait partie des races de chiens agressifs. C’est le résultat du croisement entre terrier et bulldog, destiné initialement à chasser les rats. Ils étaient élevés pour les combats de chiens quand cette pratique fut encore autorisée. Aujourd’hui ils servent de chiens de garde. Mais l’instinct combatif est toujours présent. Leurs propriétaires doivent être conscients qu’ils possèdent une arme de combat qui a besoin d’une éducation sérieuse pour obtenir la soumission à son maître. Il faut absolument éviter qu’il s’attaque aux humains. Sinon le chien devient une bête féroce.
L’évènement terrible d’il y a dix ans s’est produit parce que le propriétaire fut un maître irresponsable. Il n’était pas disposé à s’occuper de l’éducation d’un chien dangereux.
Le public fut révolté. Les politiciens et les autorités s’activèrent. Les chiens dangereux furent interdits. De plus, tous les propriétaires de chiens devaient suivre une formation et passer l’ examen final. Tous les chiens allaient à l’école! Non seulement les animaux agressifs ou effrayants par leur taille. Tous, depuis le Saint Bernard et le Berger allemand jusqu’au plus petit Pékinois gracile étaient obligés d’apprendre, avec leurs maîtres, les bonnes manières.
Or, on compte en Suisse plus d’un demi-million de chiens qui vivent chez des particuliers. Il y avait donc pénurie de tout. Trop peu d’écoles canines. Trop peu de terrains d’entraînement. Trop peu de personnel compétent. La conséquence fut inévitable: le parlement décida de retirer les mesures disproportionnées.
Dans toute cette histoire s’est manifesté un zèle excessif . On avait manqué de jugeote.
Nous le savons bien. La vie comporte des risques vitaux inévitables. Il y aura toujours des cas isolés de menaces mortelles. Les risques ne peuvent pas être complètement éliminés. Et les mesures qui manquent de jugeote existeront toujours. Peut-être des réactions excessives de l’administration.
Il y a eu un seul accident mortel par intoxication dans l’industrie horlogère. Une employée est décédée à la suite du nettoyage de cadrans au benzène. Comme conséquence, la loi sur les produits toxiques fut créée, une directive à vrai dire peu utile. Elle était née sous la pression du public indigné et apportait surtout des complications à l’industrie. Avec un peu de jugeote, ces inconvénients auraient pu être évités.
Il y a d’autres cas isolés qui ont provoqué des réglementations. Vous en connaissez sans doute, cher lectrice, cher lecteur, des exemples fondés sur votre expérience personnelle. Je crois entendre des remarques peu aimables concernant l’administration et le bureaucratisme. Il me semble toutefois injuste de reprocher un excès de zèle aux politiciens et surtout à l’administration. A la suite d’évènements avérés, c’est la voix indignée du peuple qui se manifeste en réclamant des directives, de la réglementation et des lois. Cela dure jusqu’au moment où le manifestant doit lui-même amener son teckel à l’éducation canine. Ou passer un examen médical pour vérifier son aptitude à la conduite automobile.
Le fait que nous soyons obligés de vivre avec certains risques ne peut pas être éliminé par des réglementations en grand nombre. Nous devons vivre avec cette réalité. Il est impossible de l’éradiquer par un réseau de directives, aussi dense fut-il. La pression de l’opinion publique provoque de la contre-pression. Ironiquement par exactement le même public. Cette fois, il ressent de l’étouffement. Une restriction par une avalanche de consignes et d’instructions.
Voilà pourquoi la notion “jugeote” est de nos jours dans toutes les bouches.
A cause de l’intensification de l’hyperactivité des média, les informations sur le comportement des humains et les rappels de notre soi-disante responsabilité, notre vie au quotidien est devenue compliquée.
Une chose importante s’est perdue. “Laisser le passé de côté”. “En rester là”. “Accepter les fautes insignifiantes”.” Ne pas toujours se prendre tant au sérieux”. Cette perte de tolérance empêche souvent l’application raisonnable de la jugeote. A grande échelle on ne peut sans doute pas intervenir efficacement. A notre petite échelle par contre on peut. Accepter que l’arbre du voisin dépasse légèrement la limite de propriété. Que l’autre voisin fait marcher la tondeuse à l’heure du déjeuner. Savoir patienter dans la circulation, lorsque la voiture précédente ne démarre pas immédiatement quand le feu passe au vert.
Ainsi nous pouvons récupérer la bonne application de la jugeote. Rendre la vie dans l’environnement immédiat plus agréable, paisible et détendue. Que ce serait beau, avec un peu de jugeote!

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