In Holland gab es keine Schultornister. An meinem ersten Schultag in Den Haag begleitete mich eine kleine Ledermappe. Der einzige Inhalt, ein Schreibetui. Es war ein mit einem Reisverschluss zusammengehaltener Behälter für die üblichen Schreib- und Zeichenutensilien eines Erstklässlers. Sechs Farbstifte, zwei Bleistifte, einen Federnhalter, einen Radiergummi, ein Schächtelchen mit Stahlfedern und ein kleines Lineal. Jeder Schüler hatte – wir waren nur Knaben, Mädchen sassen in einem anderen Klassenzimmer – am ersten Schultag ein solches Etui. Es gab sie in allen Farben und Grössen. So wie das Auto heute prestigegeladen ist, waren es die Etuis im Klassenzimmer. In Analogie waren vom einfachen VW bis zum teuren Mercedes die verschiedensten Etuis vertreten. Einfache kleine aus dem Warenhaus bis zu den luxuriösen aus der Papeterie. Schon am ersten Schultag lernte ich an Hand der Etuis den einfacheren bürgerlichen Schülern von den Reichen, aus den besitzenden Kreisen kommenden, zu unterscheiden. Unterscheiden nur an Hand der Etuis, welche sie zum ersten Schultag geschenkt bekommen hatten. In der Welt herrschte Krieg. Wir hatten gelernt sparsam mit unseren Sachen umzugehen. Trotzdem lernte ich, am ersten Schultag, dass für nichts anderes so viel Geld ausgegeben wurde, es sei denn für Prestige.
Später, Holland hatte in den vierziger Jahren die Tagesschule bereits erfunden, beherbergte meine kleine Schulmappe zusätzlich noch eine Blechschachtel mit dem Mittagessen. Meistens waren es Butterbrote. In der vierten Klasse kam das Einsteckbuch für gebrauchte Briefmarken hinzu. In den Pausen wurde ein regelrechter Tauschhandel mit Postfrankaturen betrieben. Noch später füllten die Bücher der Leihbibliothek meinen treuen Begleiter auf dem Schulweg. Der Platz in der Mappe wurde immer knapper. Sein Gewicht entsprechend schwerer.
Als unsere Familie, mitten im Krieg nach Leuk-Stadt im Wallis kam, trugen die Schüler Tornister – aus Holz! Es waren aus leichtem Holz gebaute Kistchen, mit einem Klappdeckel verschlossen. Dieser Deckel, mit Scharnieren befestigt, war wie das Dach eines Chalets leicht abgeschrägt und liess sich nach oben öffnen. An der Rückseite der Kiste waren Lederriemen montiert. Die Schulsachen wurden so auf dem Rücken des Schülers transportiert. Der Inhalt war nicht unähnlich dem, was in Holland in die Mappe gehört hatte.
Mit einer Ausnahme. In Leuk benutzte man Schiefertafeln mit Griffeln. Sie dienten als Schreibunterlage für Rechen- und Schreibarbeiten. Mit einem übelriechenden, um nicht zu sagen stinkenden, feuchten Schwamm, wurde das Geschriebene, nach getanem Lehrvorgang wieder weggewischt. Der Schwamm wurde in einem eigens dafür bereitgestelltes, blechenes Schächtelchen geruchfrei versorgt. Am Samstag wurde die Tafel zu Hause in der Küche mit Vim und Wasser geschrubbt bis die Schieferoberfläche vor Sauberkeit strahlte. Montags wurde die geputzte Tafel vom Lehrer inspiziert. So wurden wir zur Reinlichkeit erzogen.
Die Schule, die ich nach dem Krieg besuchte, als wir in Fribourg wohnten, kannte keine Tornister. Die Schüler hatten Schultaschen aus Leder. Zwei grosszügig ausgelegte Fächer waren an der Oberseite miteinander verbunden und konnten aufgeklappt werden. Links die Bücher, rechts die Hefte.
Als Sohn eines Hoteliers zogen wir von Ort zu Ort und von Wohnung zu Wohnung. Der nächste Schulort war Luzern. Hier trugen die Kinder der Unter- und Mittelstufe einen Schulsack. Das war ein eigenartig konstruierter farbiger Tornister. Er diente wie überall der Aufnahme von Pausenbroten und Schreibzeug.
Wir – die Grossen – hatten Mappen. Täglich trugen wir den ganzen Wissenskram von Zuhause zur Schule und zurück. Besonders schwer war die Mappe am Mittwoch. Geographie stand auf dem Stundenplan. Zu dieser Unterrichtsstunde musste das grösste Buch überhaupt, der Atlas, ins Klassenzimmer gefugt werden.
Später als unsere Töchter zur Schule gingen, gab es in Basel den Schulsack und in Zürich den Thek. Taschen die auf dem Rücken getragen wurden, prall voll mit Arbeitsblättern.
Es ist recht vernünftig Gepäck auf den Rücken zu tragen. Das Gewicht wird gleichmässig am Körper verteilt. Es gibt so kaum Haltungsschäden. Beide Hände sind frei. Seit Menschengedenken wird diese Transporttechnik praktiziert. Wenn ich nicht irre, hatte Ötzi schon einen Rucksack. Unser Rucksack allerdings unterscheidet sich deutlich von Thek. Er wird zum Wandern gebraucht und ruhte die meiste Zeit ungebraucht auf dem Estrich. Der Rucksack hatte auch immer den Geruch des Estrichs. Entweder nach Kampfer. Das gilt für den Haaraff, den Militärrucksack oder er riecht etwas muffig, der Wandersrucksack. Ist letzterer doch ein Gepäckstück zur Aufnahme der Verpflegung für einen ganztägigen Ausflug.
Das alles war einmal. Das alles ist endgültig vorbei.
Heute gibt es mehr Rucksäcke als Menschen. Jedermann hat heute mindestens einen Rucksack. Jedermann trägt heute jeden Tag seinen Rucksack. Der Bankprokurist, früher mit einem Samsonite Köfferchen zur Arbeit gehend, trägt heute einen geschmackvoll zur Kleidung passenden Rucksack. Meistens aus hochwertigem Leder. Die grosse Mehrheit, Schüler, Verkäuferinnen und Angestellte schleppen täglich einen grossen Rucksack aus solidem Stoff mit sich herum. Wenn ich schreibe gross dann meine ich gross, riesig sogar. Er fasst mindestens 40 Liter und verdoppelt die Leibesfülle des Trägers. Diese raumfüllenden Gebinde machen sich vor allem in überfüllten Fahrzeugen des öffentlichen Verkehres, zu den Stosszeiten des Berufsverkehrs, unangenehm bemerkbar. Eine Drehung um 180° des Trägers verursacht eine regelrechte Karambolage und schleudert mindestens drei Personen wieder auf ihre Sitze zurück. «Ums Himmels Willen, was tragen die denn immer mit sich herum?» frage ich mich. Als fleissiger Konsument der S-Bahn ertappe ich mich immer wieder, wie ich gedankenverloren darüber nach sinniere, was da in den vollgepackten Säcken herumgeschleppt wird. Das ist und bleibt ein Geheimnis.
Wie hat doch der alte kleine Schulranzen sich zum heutigen Jedermannsgepäck verändert und wie hat sich sein Inhalt ins Enorme vergrössert.
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