Am Wochenende des ersten Mai läutete bei Timothée Monnet in Fontenais (Jura) morgens um acht Uhr das Telefon. Ein Anruf so früh an einem Samstag liess nichts Gutes ahnen. Es war die Securitas. Die Villa von Timothée wird elektronisch überwacht. Ein freundlicher Herr meldete, die Funkverbindung zur Zentrale sei unterbrochen. Und richtig. Vor dem Sicherungskasten stehend, sprang dem Hausherr der Fehler sofort ins Auge. Die Hälfte des elektrischen Netzes war ausser Betrieb. Ausgerechnet heute! Der erste Mai fiel dieses Jahr auf einen Montag. Das gab ein langes Wochenende. Bis Dienstag war frei. Was für ein Glück am Frühlingsbeginn. Viele profitierten von der günstigen Gelegenheit und waren unterwegs. Auch Laurent Gadien, der Elektriker des Dorfes. Er war mit anderen Senioren an einem Faustballturnier in Chaumont. Das vernahm Timothée von seinem Telefonbeantworter. Wunder über Wunder, zwei Stunden später hatte er den Gesuchten am Draht. Er würde einen Freund bitten vorbeizuschauen.
Veronique rief verzweifelt um Hilfe. Sie stand vor der Garage. Sie konnte das Tor nicht öffnen. Kein Strom. Kein Problem, es gibt bei Stromausfällen eine Möglichkeit, die Garage mit dem Hausschlüssel von Hand zu öffnen. Das gelang nicht. Die Mechanik war nicht zu bewegen. Seit mehr als vierzig Jahren wurde sie nie benötigt. Wahrscheinlich war alles verrostet und verklemmt. Nervosität machte sich breit. Veronique wollte für die Feiertage einkaufen. Kein Auto heisst, nichts zu essen. Albertine, die Witwe von nebenan, wollte den Briefkasten leeren‚ und war deshalb zugegen. Sie stellte sofort ihr Auto zur Verfügung. Ihr Garagentor stiegt leise knarrend in die Höhe. Der Nachschub war gesichert. Langsam dämmerte es allen Beteiligten. Die Lage war ernst. Kein Strom, keine Heizung, kein warmes Wasser. Kalt duschen war sehr unerwünscht. Auch der PC war stumm. Kein Internet.
Um zwei Uhr nachmittags war Jules Luissier da. Der Pikettdienst der Heizungsfirma Viessmann funktionierte vorbildlich und zuverlässig. Sein Monteur war ein Profi von altem Schrot und Korn. Er beruhigte Veronique. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Kalt duschen stünde nicht im Programm. Luissier verstand sein Geschäft. Eine Stunde später brummte die Heizung wie gewohnt.
Timothée hatte inzwischen mit einem langen Verlängerungskabel den PC mit Strom aus einer anderen Steckdose wieder zum Laufen gebracht.
Der Alltag war so weit hergestellt. Der Kochherd, der Backofen und der Kühlschrank waren am anderen Teil der Stromversorgung angeschlossen und hatten stets funktioniert. Das Mittagessen konnte aufgetragen werden. Trotzdem lag immer noch eine düstere Stimmung in der Luft. Die Garagen blieben zu. Nichts zu machen. Die Mobilität war damit sehr eingeschränkt. Inzwischen wurde es auch Timothée bewusst, was es bedeutet, über keine Elektrizität zu verfügen. Keinen Strom zu haben. Es besteht ein Unterschied, davon in der Zeitung zu lesen oder es in Wirklichkeit – live – zu erleben.
Am Telefon meldete sich der Stromerkollege von Laurent Gadien. Er sei mit seinem Auto in der Nähe, fände aber die Adresse nicht. Timothée spielte den GPS und lotste ihn ins Quartier. Es war schon fünf Uhr. Gérard Legeret hiess der Ersatzelektriker, ein erfahrener Monteur, so um die fünfzig. Interessiert schaute der Hausherr ihm bei der Arbeit zu. Auch er ein Profi. Er stand in der Waschküche, folgte dem Kabel und landete in der Heizung. Der Wasserboiler war schon auf 70° C angestiegen. «Wohin führt dieses Kabel?» «In die Sauna.» Im Freien brannte die Gartenbeleuchtung. Schon wieder etwas, das funktioniert. Auch die Pumpe zum Schwimmbad tat ihre Arbeit. Legeret öffnete die Dosen in der Sauna. «Es muss die Sonnenstore sein.» Sprachs, kletterte auf einen Gartenstuhl, rüttelte an einem Verbindungsstecker, und ein Wasserschwall spritzte ihm ins Gesicht. Vom Freitag auf den Samstag hatte es heftig geregnet. Das hat dem Kabel und dem Stecker nicht gutgetan.
Timothée eilte hinunter zu den Garagen. Wie wenn nichts gewesen wäre, hoben sich die Tore. «Ausser der Store ist alles wieder betriebsbereit.» Er werde neue Stecker besorgen und am Mittwoch wieder vorbeikommen.
Am besagten Tag stand Gérard während zwanzig Minuten auf der Leiter und tat seine Arbeit. Timothée gesellte sich zu ihm und sah ihm dabei zu. Da war wirklich ein Fachmann am Werk. Jeder Handgriff sass.
Der Hausherr erlebte den Unterschied zwischen eine Realität ohne Strom und der Wirklichkeit wie Profis ein solches Problem aus der Welt schaffen können.
Wie gut funktioniert doch unsere Umgebung in Notsituationen. Es gibt die gute Nachbarin. Es gibt den guten Servicedienst der Heizungsfirma. Es gibt den guten Elektriker, der, auch wenn er Freizeit hat, eine Aushilfe organisiert und diese das Problem löst. Alles Profis.
Und es schadet nichts zu erleben, wie ein Stromausfall das ganze Leben auf den Kopf stellen kann.
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