Die klandestine Heirat der Stockalperin

Die klandestine Heirat der Stockalperin
Hans von Werra
Vorwort
Im April 2012 erschien im Eigenverlag der Genealogisch-Heraldische Gesellschaft Zürich (GHGZ) der Erzählband «Fenster in die Vergangenheit; Genealogie als Inspiration». 22 Mitglieder der Gesellschaft hatten darin familienkundige Kurzgeschichten publiziert. So auch der Autor der vorliegenden Chronik. Hans Rhyn, St. Siméon, France hat sie ins Französische übersetzt. Wenn sie nun in Fortsetzungen auf meiner Website publiziert werden, so geschieht dies, meine Verwandten darüber zu informieren, wie ein Vorfahre auf eine besondere Art und Weise zu seiner Frau gekommen ist.
Die historisierende Schilderung steht im Kontext mit den aktenkundigen geschichtlichen Ereignissen. Frei erfunden ist die Erzählung. Sie versucht den Zeitgeist und den dazu gehörigen Alltag möglichst authentisch einzufangen. Die ganze Darstellung könnte sich so zugetragen haben.

 

Die klandestine Heirat der Stockalperin
Eine Erzählung aus Wallis des 18. Jahrhunderts in fünf Fortsetzungen.
Erste Fortsetzung

Strahlende Sonne, ein Freudentag der Gemeinde. Am Weissen Sonntag des Jahres 1789 empfingen die Kleinsten zum ersten Mal die heilige Kommunion.
Ferdinand Werra, der Kirche nicht sonderlich zugetan, genoss die Stimmung im Gotteshaus, befand sich doch sein Patenkind, Titus, unter den Erstkommunikanten. Die Orgelmusik, die vielen Kerzen, die schönen Gewänder der Priester, die mit weissen Blüten geschmückte Kirche, das alles strahlte Feierlichkeit, strahlte Macht aus. Ferdinands Gedanken, die des verarmten Junkers, der wieder zurück an die Macht will, gingen auf Reisen: «Die führenden Familien und die Kirche haben das Land im Griff. Nur schade, dass unser Familienzweig daran ist, seinen Einfluss zu verlieren. Eine grosse Aufgabe steht mir bevor. Die Rückgewinnung der herrschenden Stellung unseres Clans, wie sie unter dem Zepter von Johannes dem Prächtigen im Mittelalter bestand.»
Der leicht stechende Geruch von Weihrauch stieg Ferdinand Werra in die Nase. Er weckte ihn aus seinen Gedanken. Sein Blick heftete sich auf den Seitenaltar mit den Bildern und Statuen der Heiligen. Dann zog ihn der gotische Hauptaltar mit dem Kirchenpatron Johannes der Täufer an, darauf der Muttergottesaltar im linken Teil des Kirchenschiffs. Dort knieten die Mädchen in ihren weissen Kleidern, zusammen mit ihren Müttern und Schwestern. Ferdinands Blick schweifte weiter durch die Reihen der festlich gekleideten Frauen. Inne hielt er, als er Fräulein von Stockalper entdeckte, die jüngste Tochter des mächtigsten und reichsten Mannes des Oberwallis, Kaspar Jost von Stockalper. Er kannte Margaretha von Stockalper nur flüchtig. In den Reben hatte er sie ab und zu getroffen. «Die junge Baronin aus Brig wäre genau die richtige Partie. Eine enge Bindung mit der einflussreichen Familie Stockalper wäre mir sehr willkommen. Ich muss die Jumpfer so schnell wie möglich treffen.»
Inzwischen hatte das Volk die Kirche verlassen. Auf dem Vorplatz standen die Mädchen herum, wie kleine Bräute in weissen Röcken herausgeputzt, die Erstkommunionskerze in der Hand. Die Knaben nicht weniger festlich gekleidet. Sie fühlten sich in dem ungewohnt feierlichen Aufzug eher ungemütlich. Unter ihnen befand sich auch sein Patenkind Titus. Ferdinand nahm den Jungen an seine Seite, schüttelte ihm die Hand und sprach: «Nun bist du ein volles Mitglied der Kirche. Wenn du willst, kannst du täglich kommunizieren. So kannst du zeigen, dass du ein guter Christ bist.»
Während er so redete, suchten seine Augen Margaretha. Er erblickte sie zwischen den Eltern und Taufpaten. Unauffällig, aber zielstrebig pirschte er sich an sie heran, begrüsste sie, machte ihr Komplimente. Sie sei als Gotte der Tochter des Rebmeisters der Stockalper an diesem Sonntag in Salgesch, brachte er in Erfahrung.
«Da Sie noch ein paar Tage in Salgesch wohnen, würde ich mich freuen, mit Ihnen ein paar Stunden zu verbringen», begann Ferdinand die Konversation. Zu seiner Überraschung wurde dieser Annäherungsversuch mit einem deutlichen Kopfnicken bestätigt. Dazu schoss ihr die Röte ins Gesicht. Ihre Gedanken überschlugen sich: Eine Verbindung mit den Werras würde sie vor dem Kloster, diesem Gefängnis, retten. Meine Schwester ist schon in Kaufbeuren eingesperrt bei den Crescentiaschwestern. Nein! Niemals die Klausur! Dieser Ferdinand ist zwar nicht reich, aber er ist frei!Margaretha hatte ihr Gottenkind Genovefa bei der Familie Glenz zu Bett gebracht, wo sie zu Gast weilte. In der Küche traf sie die Herrin des Hauses, Roswitha, die frühere Köchin im Hause Stockalper.
«Du siehst strahlend aus, Gritli, deine Augen leuchten wie die Kerzen heute auf dem Altar. Bist du verliebt?»
Margaretha errötete erneut.
«Es ist mir aufgefallen, wie der junge Herr Werra dir vor der Kirche die schönsten Komplimente machte. Er wäre ein standesgemässer Ehemann. Dazu ist er recht fesch und sieht gut aus.»
«Du sprichst wie eine alte Kupplerin, Rosi, aber gefallen täte er mir schon.»
«Komm, wir laden ihn morgen zum Tee ein. So kannst du ihn ungestört besser kennenlernen.»
Am Montag fand sich Junker Werra pünktlich bei den Glenz zum Vieruhrtee ein. Roswitha hatte alles arrangiert, in der guten Stube Tee, Kaffee und Kuchen aufgetragen. Diskret wurden sie alleine gelassen. Ferdinand, der galante Kavalier, brachte das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, dass sich die jüngste Tochter von Kaspar Jost Stockalper im Männerhaushalt in Brig alles andere als zu Hause fühlte.
«Das ist kein Leben in Brig!»
Erstaunt lauschte Ferdinand Margarethas Rede. Sie war nicht mehr zu stoppen.
«Die wollen mich ins Kloster abschieben. Die wollen ihre Macht ausbauen. Da können sie Ehen in der weiblichen Linie nicht gebrauchen. Das schmälert das Geld. Das schmälert den Einfluss. Ich aber will heiraten. Ich will Kinder haben. Ich will in einer guten Familie in Freiheit leben. Ich will aus diesem Kerker raus!»
Ferdinand war ebenso entschlossen wie Margaretha, mit ihr in den Bund der Ehe zu treten. «Margaretha, nur zu gerne helfe ich dir dabei. Lass uns heiraten. Überwinden wir die Schranken», liess er von sich hören. Doch da standen zwei Probleme im Wege. Aus finanziellen und machtpolitischen Gründen würde die Männerherrschaft in Brig eine solche Beziehung nie zulassen. Also musste eine geheime Ehe in camera caritatis geschlossen werden. Hier erhob sich die zweite Hürde. Eine Vermählung musste in der Kirche vor dem Priester geschlossen und zuvor dreimal von der Kanzel bekannt gemacht werden. Um dies zu umgehen, bedurfte es einer Dispens vom Heiligen Stuhl. Sie konnte nur vom Nuntius in Luzern erteilt werden.
Am Donnerstag trafen sich die Verliebten zum letzten Mal. Feierlich kniete Ferdinand vor seiner Braut. «Meine Liebste, du bist die Frau in meinem Leben. Ich will dich ehelichen. Ich verspreche dir ewige Treue bis in den Tod.»
Er besiegelte die Verlobung mit einem innigen, andauernden Kuss! Und versicherte, die notwendigen Papiere, die Dispens, in Bälde in Händen zu haben.

Die zweite Fortsetzung erscheint am 15.Juni 2018

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