Heute muss ich euch unbedingt etwas aus meinem Erfahrungsschatz erzählen. Ein paar subjektive Betrachtungen aus meiner Sicht. Möge dieser Blog von vielen jüngeren Menschen gelesen werden.
Rein chronologisch, statistisch gesehen, würde ich nicht als alt, sondern als betagt, vielleicht sogar hochbetagt eingestuft. Alt, Alter, alt sein gehörte bis vor ein paar Jahren nicht zu meinem Wortschatz. Es geht mir heute darum aufzuzeigen, wie schwierig es ist, einen Lebensabschnitt, den man noch nicht erreicht hat, verständlich zu erfassen. Beispiel: Einem Schüler fällt es schwer, sich sein späteres Berufsleben vorzustellen. Wahrscheinlich interessiert es ihn erst mitten in der Lehrzeit, darüber nachzudenken.
Während eines sehr grossen Teils des Lebens sind ja die meisten Menschen im Saft. Schritt für Schritt nimmt die Menge der Berufs- und Lebenserfahrungen zu. Langsam beginnt ein Bewusstsein für die Zukunft zu entstehen. Noch ist sie weit weg. Sie ist noch sehr diffus. Was der morgige Tag bringen wird, kann sowieso gemeistert werden. Und doch taucht die Frage nach der Zukunft immer öfter auf.
Bei mir war das so, dass bis vor ein paar Jahren mich die Zukunft überhaupt nicht interessierte. «Morgen ist ein neuer Tag!» Mit Betonung auf neu! Was auch immer auf mich zu kam, Erfreuliches, Unerfreuliches, Gemütliches, Ungemütliches, Ärger oder Freude, Siege oder Niederlagen. Alles wurde angepackt. Alles wurde bereinigt und teilweise aus dem Wege geräumt. Das gelang einmal besser, einmal weniger gut. Das Leben ging weiter, und ich machte mit. Das, so glaube ich, empfinden die meisten ähnlich. Hat der grösste Teil der Menschen in meinem Umfeld so erlebt.
Zu der Zeit verglich ich das Leben mit einer Velorundfahrt, mit der Tour de Suisse.
Sieben Etappen hat die Tour. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, komme ich auch auf sieben Abschnitte. Nur kommen die Rundfahrtetappen anders daher als die Abschnitte des Lebens. Bei der Rundfahrt sind es klar definierte Zeiteinheiten, die täglich stattfinden. Am Morgen geht’s los. Das Tagesziel ist klar. Einmal angekommen, wird abgerechnet. Wer war der Beste am Berg? Wer war der Schnellste? Wer hat die Etappe gewonnen? Alles ist klar definiert und klar messbar.
Das Leben besteht auch aus Abschnitten. Geburt-Frühzeiterziehung-Kindergarten-Grundschule-Lehre-Beruf-Familie-das Alter.
Diese Lebensphasen sind nicht so präzis abgegrenzt wie bei der Tour de Suisse. Sie gehen fliessend ineinander über. Von der Geburt über die Schule in den Beruf. Es gibt auf diesem Weg Meilensteine, der Geburtstag, der erste Schultag, die Lehrabschlussprüfung. Einmalige Ereignisse, die man im Kalender als Datum in Erinnerung rufen kann oder auch nicht.
Es sind die Ungewissheiten des Lebens, welche den Unterschied zur Tour ausmachen. Habe ich den richtigen Beruf gewählt? Wo liegen meine Talente? Bin ich vielleicht zu ehrgeizig? Setzte ich mir Ziele, die ich nie erreichen kann? Habe ich überhaupt Ziele? Lebe ich vielleicht bloss so drauf los? In der Regel schon eher. So geht es weiter. Tag für Tag. Wenn Zufriedenheit herrscht, ist das nicht schlecht. Stets einem imaginären, unerreichbaren Ziel nachrennen macht keinen Sinn.
Dann, unvermittelt plötzlich geschieht es. Stopp! Das erlebt jedermann. Die Frage: «Wozu das Ganze?» steht mit grossen Lettern an der Wand. An jener Wand, wo es auf einmal nicht weiter geht. Eine scheinbare Wand, eine durchsichtige Wand. Dahinter liegt die Zukunft. Das ist neu. Auf einmal ist es da: das Futurum. Diese Einsicht, dass es ein Ende gibt. Immer noch eine diffuse Sicht der Dinge. Noch nicht besonders klar. Vor allem, noch weit weg.
Diese Erfahrung, das bin ich mir sicher, macht jeder Mensch. Das Leben lebte vor sich hin. Sanft angetrieben von Familie, Beruf, Umgebung und Alltagsroutine. Die Fahrt nahm mit den Jahren Geschwindigkeit auf. Als Ganzes wurde das Leben gemeistert, auch wenn ich älter geworden bin, an Jahrringen zugelegt habe. Im Rückblick war es geglückt. Also gut, weiter so! Es gibt keine Alternative. Es geht weiter, nur bewusster.
Ich ertappe mich, wie ich mehr und öfter an die Zukunft denke. Was wird morgen sein? Eine Frage, die ich mir vor drei Jahren nicht nur nicht dachte, sie war gar nicht vorhanden. In solchen Momenten mache ich Inventar über Vorfälle in früheren Zeiten. Hier das Resultat:
Das Leben ist ein zeitlicher Ablauf mit einem Anfang und einem Ende, von dem man nicht weiss, wann es genau eintreffen wird.
Es besteht aus sieben Abschnitten, welche nicht genau abgegrenzt sind. Sie gehen unbemerkt ineinander über.
Jede Lebensetappe hat seinen besonderen Schwerpunkt. Wachstum, Schulung, Autonomie, um nur ein paar zu nennen.
Der Mensch hat einen enorm starken Willen, am Leben zu bleiben.
Die Frage, was nachher ist, wird vorerst nicht gestellt, dann wird sie reflektiert und in vielen Fällen verdrängt.
Und allem voran: War es ein glückliches Leben? Wann ist ein Mensch glücklich? Jeder Mensch kann irgendetwas besonders gut. Ich nenne es Talent. Wenn man sein eigenes Talent erkannt, gefunden hat und man in der Lage war, nach dem Talent zu leben, dann spreche ich von Glück.
Also:
Suche und finde Dein Talent. Erfülle Dein Leben nach Deinem Talent und sorge dafür, dass Du in der siebenten Etappe keine offenen Rechnungen hast. Dann hast Du ein glückliches Leben.
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