Baltazar Sánches, 71-jährig, geboren in Coimbra/Portugal, eingebürgerter Schweizer, Ingenieur, wurde mit drei 9 mm Parabellum-Geschossen ins Herz getroffen. Tatwaffe nicht auffindbar. «Papierlischwyzer mit Blattschuss umgebracht, das riecht nach Rache. Ich will alles über diesen Knaben wissen», dachte Kriminalkommissar Renggli.
«Dieser Knabe war alles andere als sauber über dem Nierstück.» Es handle sich um einen gewieften Geschäftsmann, der auf dem ganzen Globus Handel treibe. Steinreich und sehr verschwiegen. Bis heute sei er nicht straffällig geworden. Aufgewachsen und ausgebildet in Portugal. 1968 kam er in die Schweiz. Galt als tüchtig und als grosses Schlitzohr. 1983 erhielt er das Schweizer Bürgerrecht und wurde gleichen Jahres in den Verwaltungsrat der Firma Tours Précis SA in Auvernier gewählt. Die Firma hatte vor Jahren viel Geld in den Sand gestossen. Bis ein Elsässer, Michel A. Durant, die Führung übernahm, die Bilanz sanierte. Bald gab es Krach. Durant wurde in die Wüste geschickt. Sánches und zwei weitere Hasardeure bereicherten sich enorm, indem sie die Firma ausweideten. «Jetzt interessiert mich aber, was aus Durant geworden ist», vermeldete Renggli.
Michel Ambroise Durant wurde 1939 in Riquewihr im Elsass geboren. Er wuchs dort auf, studierte in Mülhausen. Er machte sich einen Namen als Unternehmenssanierer. Die Inhaberfamilie von Tours Précis SA holte ihn nach Auvernier. Bald gab es Spannungen im Verwaltungsrat. Die Inhaberfamilien und die neuen Aktionäre wollten Geld sehen. Durant hingegen wollte die Firma betrieblich weiterbringen. Es kam zum Vulkanausbruch. Man stellte Durant in den Schnee. Seither ist Durant von der Bildfläche verschwunden. Er lebt zurückgezogen als Weinbauer wieder in Riquewihr. «Ich glaube, ich muss wieder einmal Spargeln essen gehen», nahm sich der Chef vor.
Michel Ambroise Durant wirkte keineswegs überrascht, als er von einem schweizerischen Polizisten in Frankreich Besuch erhielt. Nach dem üblichen Eingangsgeplänkel machten es sich die Herren im Arbeitszimmer des Weinbauern bequem. Das Büro hatte nichts mit jenem eines «Gentleman Farmers» zu tun. Es war sehr geschmackvoll eingerichtet und glich eher der Bibliothek eines Privatgelehrten. Durant, ganz eleganter Gastgeber und charmanter Plauderer, hatte eine Flasche Pinot gris aus seinem eigenen Weinberg entkorkt. Renggli ging sofort zur Sache. «Kennen Sie Baltazar Sánches?» «Natürlich, dieses Schwein. Was ist mit ihm?» «Er wurde letzte Woche ermordet!» «Ein Glück für die Menschheit! Dieser miese Charakter. Ein Schwerverbrecher ist er. Aalglatt allerdings. Die Polizei konnte ihn noch nie stellen.» «Man hat mir erzählt, Sie hätten einmal gesagt: <Wenn ich den vor den Lauf bekomme, drücke ich ab!>.» «Stimmt.» «Haben Sie ihn vor den Lauf bekommen»? «Ja.» «Und haben Sie abgedrückt?» «Dreimal.» «Woher wussten Sie, dass das Sánches in Europa, ja in der Schweiz war»? «Ich habe meine internationalen Beziehungen eingesetzt und ihn ununterbrochen verfolgt. Es besteht eine lückenlose Chronologie über seine Beschäftigungen. Alles ist dokumentiert, und die Berichte sind bei einem Notar hinterlegt. Hier im Hause finden Sie keine Spuren. Meine Recherchen sind absolut wasserdicht.» «Haben Sie eine Waffe?» «Nicht mehr. Ich hatte eine Jubiläumspistole SIG P210 Kaliber 9 mm Parabellum. Ich habe sie verschenkt!» Es muss für einen Polizisten frustrierend sein, mit dem Mörder Wein zu trinken und ihn nicht verhaften zu können. Der Gastgeber begleitete ihn zu seinem Auto, verabschiedete sich und wünschte eine gute Heimreise. Mit den Worten «finden Sie die Tatwaffe» schloss er galant das Fahrzeug.
Eine Jubiläumspistole. Die müsste zu finden sein.
Beim Rapport der folgenden Woche: «Ich habe die Tatwaffe. Ich fand sie bei einem Besuch bei seinem Schwiegersohn in der Schweiz. Ein Geschenk von Durant. Auch bestätigte er, dass Durant in der Zeit vor und nach der Tat für ein paar Tage auf Besuch war. Nur Fingerabdrücke des Täters auf der Waffe. Zeit, sich mit der Polizei in Mülhausen in Verbindung zu setzen.» «Nicht mehr nötig. Durant hat sich gestern sehr stilvoll das Leben genommen», platzte Wachtmeister Zürcher heraus, «seine Tochter, Medizinerin, hat ihn gefunden und den Tod festgestellt. Er sass im Frack, den Orden umgehängt, im Fauteuil in seinem Arbeitszimmer. Aus dem DVD-Player war das Mozart-Requiem zu hören. Vorher hatte er noch eine Pfeife geraucht und dann seinen Schierlingsbecher ausgetrunken.»
«Ad acta!»
Abends fand Kommissar Renggli in seinem Briefkasten zu Hause einen Brief aus Frankreich. Er enthielt die Adresse eines Notars in Appenzell Innerhoden zusammen mit der Vollmacht und die Passwörter.
Beigefügt stand auf einer Korrespondenzkarte von Hand geschrieben:
«La vengeance est un plat qui se mange froid. »
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