Stau

Letzthin hatte ich wieder Gelegenheit, mit dem Auto nach Basel gefahren zu werden. Autofahren ist für mich dann am schönsten, wenn ich nicht am Steuer sitzen muss. Ein guter Autofahrer war ich nie. Freude an der Geschwindigkeit ist eine Empfindung, die ich nicht geniesse. Nicht beim Skifahren, nicht beim Velofahren und schon gar nicht beim Autofahren. Autos interessierten mich nie. Noch nie war ich am Autosalon in Genf. Für mich ist das Auto ein reines Transportmittel. Es muss praktisch und zuverlässig sein und mich ohne Pannen von A nach B bringen. Ich bin der geborene Beifahrer. Ob im Zug oder im Auto, wenn die Landschaft am Fenster vorbeizieht, kommen mir die besten Gedanken. So sind viele meiner Kolumnen, Vorträge, Publikationen, sogar die Vorworte zum Geschäftsbericht, entstanden.

Vor ein paar Wochen erlebte ich wieder einmal das angenehme Gefühl des Beifahrens. Die Strecke war mir bekannt. War sie doch Teil meines Berufsweges, als ich in Aarau arbeitete. Tausend Mal bin ich zur Arbeit gefahren worden. Das war vor dreissig Jahren. Damals nannten wir den Berufsverkehr schon sehr dicht. Es gab schon immer viele Autos. Was ich heute auf der Fahrt nach Basel erlebte, empfand ich als dramatisch. Sicher doppelt so viele Fahrzeuge waren heute unterwegs. Schwere Laster, viele Kleinbusse und Personenwagen ohne Zahl. Stossstange an Stossstange schob sich die Masse voran. Die Autobahn war proppenvoll. Die Autos bewegten sich von Staupunkt zu Staupunkt. Jedes seinem Ziel entgegen. Es machte mich nachdenklich. Da nicht am Steuer sitzend, konnte ich denken. Allerlei schoss mir durch den Kopf.

Erster Gedanke: Die Fahrzeit
Von flüssigem Verkehr konnte keine Rede sein. Immer wieder kam der Fluss ins Stocken, gab es Staus. Baustellen, Einmündungen von rechts, Tempobeschränkungen, Umfahrungen, der Wechsel von drei auf zwei Spuren. Diese Unregelmässigkeiten im Tempo liessen das Gefühl aufkommen, man komme nicht vom Fleck, komme nicht rechtzeitig ans Ziel. Das stimmte nicht ganz. Erstaunlicherweise war die Fahrzeit von zuhause nach Aarau ungefähr gleich wie vor dreissig Jahren. Ein Phänomen, das ich nie vorausgesagt hätte.

Zweiter Gedanke: Warum?
Warum quälen sich diese Menschen Tag für Tag fahrend auf die Strasse? Sie verlieren Zeit, die für besseres zu benützen wäre. Um pannenfrei ans Ziel zu kommen, verlangt die Fahrerei viel Aufmerksamkeit. Sie investieren dafür viel persönliche Energie. Da gibt es doch die erstklassigen Segnungen des öffentlichen Verkehrs. Kein Stress, viel Zeit für anderes. Die Antwort liegt auf der Hand. Der Vorteil der Punkt-Punkt-Verbindung ist der Trumpfbauer des Individualverkehrs. Keine Fragen wie «Finde ich noch einen Parkplatz beim Bahnhof?» «Hoffentlich habe ich einen guten Sitzplatz im Zug.» «Wie lange muss ich wohl auf das nächste Tram warten?“
Von zuhause bis ins Ziel ohne umsteigen, ohne Fussmarsch vom Parkplatz bis zum Zug, das ist sehr verlockend. Da liegen schon ein paar Ärgernisse unterwegs drin.

Dritter Gedanke: Freiheit
Ein weiteres Phänomen. In jedem Fahrzeug sitzt nur eine Person. Das war vor dreissig Jahren nicht anders. Immer war vom «Carsharing», diesem Bestandteil der kombinierten Mobilität, die Rede. Es hat sich bis heute nicht realisiert. Das Auto bringt Freiheit. Die Abfahrzeit wird ohne Absprache mit Zweiten entschieden. Ebenso die Route und die Möglichkeit, auf dem Heimweg noch rasch beim Bäcker vorbeizugehen. Die grosse Versuchung des Individualverkehrs heisst Entscheidungsfreiheit. Frei sein! Ungebunden vom Fahrplan, vom Wohnort der Berufskollegen und von Wünschen anderer. Das ist der Grund, warum bald jeder Erwachsener heute ein Auto fährt.

Vierter Gedanke: Verbesserungen
Sollte da nicht etwas für die Verbesserung des Verkehrsflusses getan werden müssen? Gesteuerte Ampeln, Flüsterbeton, Autoradio Schweiz informiert dauernd und liefert Tricks schnell voranzukommen. Das könnte funktionieren, wären da nicht die notwendigen Baustellen. Bei einem so grossen Verkehrsaufkommen wird die Infrastruktur entsprechend beansprucht. Was Unterhalts- und Verbesserungsarbeit erzwingt.

Fünfter Gedanke: Alles fliesst.
Wir sind schon durch den Bözberg. Wir sind im Fricktal. Wo sind bloss die vielen Autos geblieben? Auf der Autobahn nach Basel herrscht Verkehr wie vor fünfzig Jahren. Ein paar Lastwagen, ein paar Kleinbusse und wenige PWs. „Panta rhei, alles fliesst“ sagte schon Heraklit. Natürlich! Es gibt Hauptverkehrsadern wie von Zürich nach Bern via Önsingen und Nebenstrassen wie im Rhonetal oder im Fricktal. Dort, wo sehr viel Verkehr herrscht, müssen bessere Verbindungen her. Also breitere Stassen bauen. Amerika hat es uns vorgemacht. Statt lahme zwei Spuren deren vier oder gar sechs. Geht auch nicht. Verschwendung von Kulturland, tönt es aus dem politischen Lager der Grünen.

Sechster Gedanke: Später nachdenken
Kurz vor Birsfelden geht mir ein Licht auf. Es geht gar nicht um Autos, es geht um Menschen. Seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wohnen 55% mehr Erwachsene in der Schweiz. Und diese Schweiz ist kein Quadratmeter grösser als damals. Da wird es eng. Ich bin inzwischen am Ziel.

Über diesen Gedanken muss ich ein andermal nachdenken.

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