Ferdinand, Freiherr von Werra – Kapitel 2

Beim Nachtessen hatte die kleine Schwester den Auftrag, nicht zu reden. Stän- dig plapperte sie über ihre Puppen und ihre Bauklötze. Immer wieder wurde sie von Mama zurechtgewiesen: «Patientia, wenn Erwachsene am Tisch sitzen, haben Kinder zu schweigen. Wenn sie etwas sagen möchten, müssen sie um Er- laubnis bitten.» Die Ermahnung nützte wenig. Ständig platzte die Kleine mit ihrem Gerede dazwischen. Alex und Ferdinand sassen schweigend da. Nicht ohne sich vielsagend anzuschauen und mit den Augen zu zwinkern.

Papa hatte seine Pfeife schon angezündet. Der Tisch war abgeräumt. Alex und Ferdinand hatten zusammen diese Arbeit übernommen. Als sie aus der Küche zurück waren, richtete sich Papa Alex an sie: «Morgen habe ich im Schloss zu tun. Wollt ihr zwei mitkommen?» Was für eine Frage! «Klar, gerne!» Die Antwort kam im Duett.

Lisa trottete im Gleichschritt vor sich hin. Die Sonne strahlte, wie man es im Wallis gewohnt ist. Viktor hatte das alte Karriol angespannt. Papa hatte die Zügel übernommen. Zu dritt wurden sie auf dem Weg ins Tal hin und her ge- rüttelt. Alle hingen ihren Gedanken nach. Das linke Rad der Karre quietschte von Zeit zu Zeit. «Viktor hat wieder vergessen die Naben zu fetten», murmel- te der Vater.

«Viktor hat mir gesagt, man könne fetten so viel man will. Die Naben sind kaputt. Der Wagen gehört in die Wagnerei von Michel Willa.» Papa Alex er- läuterte seinem ältesten Sohn, dass das noch Zeit hätte.

«Hoffentlich verlieren wir kein Rad und haben keinen Unfall. Ich möchte nicht zu Fuss nach Hause zurück.» Das Trio hatte das Balethaus um neun Uhr Richtung Leuk verlassen. Als sie die Kirche von Varen hinter sich gelassen hat- ten, fragte Alex Junior, warum ausgerechnet heute dieser Ausflug geplant sei.

«Ich muss im Schloss zum Rechten schauen.»

«Es gehört doch zur Familie. Von wem hast du es bekommen?» Mit einem kräftigen Ruck war Ferdinand aus seinen Gedanken wachgerüttelt worden. Das Gefährt war mit dem einen Rad über einen grossen Steinbrocken gefahren und gefährlich ins Schwanken geraten.

«Ich habe es von meinem Vater, deinem Grossvater, geerbt. Der wiederum hat es von seinem Vater geerbt. Ende des 17. Jahrhunderts kam es durch Urgross- vater Gabriel in den Besitz unserer Familie.»

«Wie alt ist unser Schloss?»

«Etwas mehr als 330 Jahre. Es wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts ge- baut.»

«Ganz schön alt. Das Schloss gehört also dir. Du hast es geerbt. Wie läuft das eigentlich mit dem Erben?»

«Das geht so, mein Ferdinand: Jedermann besitzt Ware, Fahrhabe, Grundstücke, die den Besitzer überleben. Wenn ich sterbe, geht das Schloss an den ältes- ten Sohn der Nachkommenschaft.»

«Pech für mich. Alex wird somit der zukünftige Schlossherr.»

«Es ist wichtig, dass der Grundbesitz und die Gebäude, die darauf stehen, in der Familie bleiben. Mit dem Familienfideikommis wird im Erbrecht geregelt, dass das Vermögen unserer Familie auf ewig der Werrafamilie erhalten bleiben soll. Man hat beim Erben gewisse Regeln festgelegt, an die sich alle halten. Der älteste Sohn erbt Grund und Boden. Der zweite macht sein Glück als Offizier in fremden Diensten. Der dritte geht in den geistlichen Stand. Wird Priester oder Mönch.»

«Gut so! Ich, der Schlossherr, du, der Soldat und Patientia ins Kloster.»

«Ich will gar kein Offizier werden. Der Kriegsdienst ist ein gefährlicher Beruf. Da kommt man meistens nicht mehr lebend nach Hause zurück. Der Helden- tod auf fremder Erde ist das Ende. Ich möchte leben und nicht für einen frem- den Herrscher sterben.»

«Genug jetzt. Vorläufig leben wir alle noch.»

Am Brunnen vor dem Rathaus in Leuk wurde ein Marschhalt eingelegt. Lisa stillte ihren Durst. Der Vater hatte sich mit seinen Söhnen zwischen dem Rat- haus und dem Bischofsschloss aufgestellt. Alle blickten nach Süden ins Rhone- tal. Vor ihnen der Illgraben. Heute ein armseliges Rinnsal. In Zeiten der gros- sen Schneeschmelze ein reissender Wildbach. Er liegt eingebettet im Pfynwald, dem grössten Kiefernwald weit und breit. In der Mitte dieses Waldes hat sich eine grosse Rodungsfläche gebildet, in dem sich der Weiler Pfyn befindet. Die Gegend ist gefürchtet. Räuber treiben dort ihr Unwesen. Von diesen Machen- schaften hat die Stadt Leuk seit jeher einen Vorteil gezogen. Händler und Rei- sende, die von Brig nach Siders und Sitten wollten, meideten den Weg durch den Pfynwald. Sie zogen es vor, in den Susten über die Holzbrücke durch Leuk über die Dalaschlucht nach Varen weiterzuziehen. Viele der Reisenden mach- ten in einer der Herberge Quartier. Das Städtchen entwickelte sich. Es wurde zum bedeutenden Marktflecken. Der Brückenzoll in den Susten und an der Dala sorgte für tüchtige Einnahmen.

Leuk-Stadt

Leuk wuchs neben Brig und Sitten zur drittwichtigsten Stadt empor.

Das Illhorn und der Gortwetsch auf dem linken Ufer des Rotten schloss den Ausblick der drei Reisenden nach Süden ab.

«Ganz weit nach links», Papa streckte den Arm aus, «in einer halben Stunde sind wir dort.»

Steil hinab ging es dem Rotten zu. Papa musste die Handbremse fest anzie- hen, damit Lisa nicht von der Strasse abgedrängt wurde. Beim Überqueren des Stroms hörte man ihre Füsse auf den Holzbohlen der Brücke klappern. Das Karriol war jetzt an der Färbi vorbei auf dem linken Ufer des Rotten. Von Ferne hörten die Reisenden den Glockenschlag vom Turm der Kirche St. Stephan. Es war eben elf Uhr. Die Landschaft lag noch im Schatten der hoch aufstrebenden Berge im Süden. Sie waren beim Schloss angelangt. Noch kein Sonnenstrahl er- leuchtete die Liegenschaft. «Ein schönes Schattenloch», bemerkte Ferdinand trocken.

«Schauen wir uns zuerst die Umgebung an. Es ist ein grosses Grundstück.» Der Schlossgarten glich einer Wildnis. Spriessendes Unkraut, soweit das Auge reichte. Da stand das Schloss von Alex! An der Umgebungsmauer, mit run- den Pfeffertürmchen an den Ecken, zeigte sich das imposante Portal mit dem schmiedeeisernen Gitter. Dahinter der Wohntrakt mit dem runden Turm. Der diente als Treppenhaus.

Lisa war schon aus dem Geschirr. Ferdinand hatte sich ihrer angenommen. Die üppige Weide im Schatten der Platanen bot sich als Verpflegungsplatz des Pferdes an. Papa Alex hatte inzwischen das Gittertor aufgeschlossen. Zu dritt unternahmen sie die Begehung der Liegenschaft. Alles zeigte auf ein ungepfleg- tes Haus hin. Ein schlechter Eindruck. Unkraut im Garten, die Felder gehörten gemäht. Beeindruckend war einzig die Grösse des Grundstücks. Zwei moosbe- deckte Löwen bewachten die Eingangstreppe ins Gebäude. Aus jeder Ritze der achtstufigen Stiege wuchs Löwenzahn und Vergissmeinnicht. Das Geländer, die Handläufe links und rechts waren so stark verrostet, dass man aufpassen musste, beim Berühren die Hände nicht zu verletzen.

Papa versuchte, die schwere Nussbaumtüre zu öffnen. Es dauerte eine Weile, bis es gelang, den Schlüssel zu drehen und die Türe zu bewegen. Sie hing schief in ihren Angeln. Alle drei mussten gemeinsam alle Kraft aufbringen, um das Portal zur Seite zu schieben. Es gelang langsam unter Quietschen und Ächzen und einem Schleifen am Boden. Die schliesslich offene Tür hinterliess auf dem staubigen Boden eine halbkreisförmige Spur. Hier war schon lange niemand mehr ein und aus gegangen. Im Innern bot sich ein ähnlich trübseliger Anblick. Spinnengewebe in allen Ecken. Überall lag fingerdick der Staub. Die Luft war von einem muffigen Geruch geschwängert.

«Zuerst machen wir jetzt alle Türen und Fenster auf, damit Durchzug entsteht und frische Luft hereinkommt. Ihr kümmert euch um das hier unten. Alles öffnen. Ich begebe mich in die oberen Etagen und mache dasselbe. Wenn ihr fertig seid, wartet ihr draussen. Dann gibt es etwas zu essen, sobald ich oben fertig bin.»

Die Eingangshalle, die Empfangszimmer und die Küche im Parterre waren bald vom Winde durchweht. Oben in der Bel Etage wurden die Gesellschaftsräume und die Kapelle genau so gründlich gelüftet. Im zweiten Stock wurden Esszimmer, diverse andere Zimmer und die Bibliothek vom muffigen Geruch in der Luft befreit. So einfach, wie das tönen mag, war es nicht. Viele Fenster liessen sich nur mit Gewalt öffnen. Einige liessen sich überhaupt nicht bewegen.

Gegen ein Uhr sassen alle auf den Stufen des Haupteingangs und vergnügten sich am mitgebrachten Essen. Die Köchin hatte Brot, Käse und Hauswürst- chen eingepackt. Zu trinken gab es Picket. Mama hatte zum Dessert einen Aprikosenkuchen mit einem süssen Guss darauf gebacken. Die Sonne schaute zwischen den Bergen im Süden hervor und brachte den Agarnern die ersten Strahlen. Das Schloss und die Umgebung standen im grellen Licht. Der Essens- korb war bald leer, die Reisegesellschaft gesättigt. Alle hatten es sich auf der Eingangsstiege bequem gemacht, streckten die Füsse von sich und schauten in den Garten an der Mauer vorbei zum Tor hinaus. Nach der reichlichen Mit- tagspause ermahnte Papa zu weiterer Arbeit. «Alex, suche einen Eimer oder ein anderes Geschirr. Hole Wasser an der Quelle und gib Lisa zu trinken. Du, Ferdi, gehst mit deinem Bruder und spülst das Essgeschirr und bringst dann den Korb in den Wagen. Ich warte hier, bis ihr zurück seid.»

Papa Alex, allein gelassen, zündete seine Pfeife an und überdachte die Lage. Das Schloss befand sich in einem desolaten Zustand. Das war zwar nichts Neues, aber ein grosses Problem. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern: «Die Wer- ras haben nicht genug Mittel, eine so grosse Latifundie zu unterhalten.» Das Gebäude den Launen der Natur zu überlassen und zusehen, wie es vergammelt, war auch keine Lösung. Immerhin hatte das Gemäuer 300 Jahre auf dem Buckel und war immer noch in brauchbarem Zustand. Es sprach nichts dagegen, hier zu wohnen. Vorausgesetzt, die Liegenschaft würde gepflegt, man hätte genug Personal und eine Schatulle, aus der die laufenden Instandstellungen finanziert werden konnten. Weder J.J. Alex noch sein Vater hatten das Talent, ein solches Gut richtig zu bewirtschaften. Sie waren nicht dazu erzogen worden, richtig mit Geld umzugehen. Das Geerbte zu mehren und für Einnahmen zu sorgen, war ihnen fremd. In wahrstem Sinne war hier guter Rat teuer. Eine Lösung zeichnete sich jedoch am Horizont ab. Der Arzt aus Siders hatte Interesse am Schloss. Er wäre bereit – vorausgesetzt der Preis stimmte –, es zu kaufen. Ihm fehlte das Geld nicht, den alten Glanz wieder herzustellen. Nur – so etwas macht ein Edelmann nicht. Liegenschaften werden nicht verkauft. Die müssen in der Familie bleiben. Nichts ist so solide wie Grund und Boden. In Ausnahmefällen käme ein zeitlich befristetes Vermieten infrage. Um Zeit zu gewinnen und etwas zu verdienen. Dann wäre da noch die Schmach. Ein Adliger, der sein Schloss verkaufen muss, ist gesellschaftlich bankrott. Alex steckte mit seinem Gebäude tief in der Klemme, in der Zwickmühle. Heute kam ihm so richtig zum Bewusstsein, wie er zwischen Stuhl und Bank sass.

Es war nicht zu überhören, die Buben kamen mit Gesang und Gejohle zurück. Sie rissen den Vater aus seinen morbiden Gedanken. Papa Alex gab sich einen Ruck, stand auf, gab die Befehle durch. «Jetzt wird das Schloss vom Keller bis zum Dachboden, vom Garten bis zu den Stallungen kontrolliert. Alle Tü- ren und Fenster werden wieder geschlossen. Dort, wo es Schlösser hat, wird verriegelt. Ihr sollt wissen, wie es um unser Anwesen steht. Das soll in euren Erinnerungen verankert sein! Los, an die Arbeit!» Alle zogen los. Durch das Haupttor kamen sie in ein Vestibül, welches links und rechts von zwei Emp- fangszimmern flankiert war. Hier bat in der glanzvollen Vergangenheit der La- kai jeweils die Besucher, einen Augenblick zu warten, bis sie beim Hausherrn gemeldet worden seien. Es waren kleine Salons gewesen. Auf den Tischen stan- den immer Wasser und Wein in kristallenen Karaffen bereit. Der erste Ein- druck musste dem Besucher signalisieren, dass es in diesem Haus gepflegt zu und her gehe. Davon war heute nichts mehr zu sehen. Einzig ein wackeliger Tisch erinnerte noch an bessere Zeiten. Beim Verlassen des Vestibüls empfing den Besucher eine grosse Halle. An der Decke hing noch ein Leuchter, auf dem einmal 24 Kerzen gebrannt hatten. Diese waren längst ausgebrannt. Ein grosses Spinnennetz zeugte von jetzigen Bewohnern. In einer Ecke stand ein Billardtisch. Die Kugeln und die Queues waren noch da. Der grüne Filz war von den Mäusen und Ratten fast völlig zerfressen.

Von hier ging es nach links zum Esszimmer, zur Küche, zur Economa und zum

Aufenthaltsraum für das Personal. Hier wurden auch die Kutscher und die Kuriere anderer Eliten aufgewärmt und verpflegt. Rechts befanden sich der grosse Salon, die Bibliothek und das Musikzimmer. Ganz hinten nahm der zylindri- sche Turm das Stiegenhaus auf. In der ersten, der Bel Etage, befanden sich der grosse Festsaal, die Kapelle und die Privatgemächer der Herrschaft. Gegen Osten lagen die Gästezimmer für geladene Gäste. Schliesslich die Besenkammer, die Aborte und jede Menge von Kästen, Truhen und Schränken. Noch weitere Räume befanden sich im zweiten Stock: Studierzimmer, Nähzimmer, einfache Gästezimmer für die Kutscher der Gäste, Personalunterkünfte und der Kleider- fundus. Ganz oben unter dem Dach lagen weitere Zimmer für das Personal. Unter dem Schloss waren ein grosser Weinkeller, der ganze Kellereibetrieb mit Driel und dem Flaschenlager. Ein kleines Carnozet hatte einen Ausgang ins Freie. Hier wurden auch das Traubengut und die Fässer angeliefert.»

«Das sind mehr als 32 verschiedene Räume», sagte Ferdinand, als sie wieder im Garten standen.

Schloss von Werra im Tal des Rottens bei Agarn

Alle Fenster, Türen und Tore waren wieder verschlossen und verriegelt. Im Vor- garten stand, ganz mit Unkraut verwachsen und ausgetrocknet, ein Springbrun- nen. Weiter ging es zu den Stallungen. Auch die hatten schon bessere Zeiten gesehen. Das Gebäude war in drei Räume aufgeteilt: Eine Remise für Kutschen, Fahrzeuge und Pferdeschlitten, in der Mitte sechs Boxen für die Pferde und am anderen Ende eine Werkstatt für den Hufschmied und den Gärtner. Das Gewächshaus hatte keine einzige heile Scheibe mehr. Alle waren zerschlagen.

Übrig blieb nur noch ein rostiges Gestell als Schuppen für die Gartengerät- schaften. Um das Schloss herum fielen nicht unterhaltene Weiden und wild wachsendes Gebüsch auf. Was für ein verwahrloster Eindruck. «Das lässt sich in dem Zustand nicht einmal verkaufen», dachte der Vater, als sie das Karriol für die Heimreise bereit machten.

Los ging es mit Pferd und Wagen Leuk zu. Zwei Räder und drei schweigsame Gesellen. Eine bedrückte Stimmung fuhr als blinder Passagier mit. Als sie an den Lichten vorbei waren, das Rathaus war schon sichtbar, unterbrach der äl- teste Sohn die elende Stille. Die Kirchenuhr schlug eben drei. «Unser Schloss ist wirklich nicht schön!», flüsterte Alex. «Nicht schön ist gut! Völlig her- untergekommen ist es. Möchtest du, Alex, zusammen mit Spinnen und Mäusen wohnen?»

«Leider kann ich dir nicht widersprechen. Im heutigen Zustand würde dort niemand wohnen wollen. Etwas muss geschehen.»

«Wenn wir nur alles sauber machen würden, die Fenster putzen, die Küche in Betrieb nehmen und den Garten vom Unkraut befreien, wäre das ein erster Schritt», war die altkluge Antwort von Alex.

«An so etwas habe ich gedacht. Es geht nicht nur ums Reinemachen. Ein solches Anwesen will unterhalten sein. Das geht nur, wenn dort jemand das ganze Jahr über wohnt. Das Haus muss leben. Was bedeutet, es braucht Personal. Personal verursacht Kosten. Nicht nur Kost, Logis und Lohn. Es kommen Hilfsmittel, Apparate und Kurzwaren dazu. Das alles muss gekauft und bezahlt werden. Und uns fehlt dieses Geld.»

«Urgrossmutter Anna hatte doch ein grosses Vermögen in die Familie ge- bracht, als sie Urgrosspapa heiratete.»

«Du hast Recht, Alex, mein Vater hat eine gute Partie gemacht Balets waren die Reichsten im Lande. Ihnen gehörte halb Salgesch. Die Mitgift bestand vor allem aus Grund und Boden, Möbeln und Geschirr, sehr wenig Bargeld.»

«Wie kommt man zu Bargeld?»

«Indem man etwas Wertvolles verkauft.»

«Zum Beispiel ein Schloss?»

«Das wäre eine Lösung, aber keine gute. Ein Edelmann und Junker braucht Grund und Boden. Das verkauft er nicht.»

Das Karriol bog gerade in die Varengasse ein, als Papa Alex durch den Kopf ging, einen Besuch bei den Cousins im Majorshof zu machen. Das war eine gute Idee. Die beiden Jungen freuten sich, ihre etwa gleichaltrigen Cousins zu treffen. Worauf Papa Alex streng die Benimmregeln durchgab:

«Der Hausherr ist ein alter Oberst in französischen Kriegsdiensten und wird mit ‹Herr Oberst› oder ‹Cousin Colonel› angesprochen. Seine Frau kommt aus Sitten und spricht grundsätzlich nur Französisch und wird mit ‹Cousine Cathérine› angeredet. Ihr zwei zeigt euch von der besten Seite. Immer mit zwei Worten antworten: ‹Merci, ma cousine›, ‹oui, mon Colonel›. Sie haben fünf Kinder. Einer heisst Moritz und ist ein Jahr älter als du, Lexi. Der zweite heisst Ignaz und ist jünger als Moritz. Dann sind da noch drei weitere Kinder, deren Namen ich vergessen habe.» Ehrfurchtsvoll versprachen Alex und Ferdi, sich vorbildlich zu benehmen.

Das Karriol war eben in den Vorhof eingefahren, als die Gäste schon vom Stallknecht begrüsst wurden. Das Gefährt war noch nicht um die Ecke zu den Stallungen verschwunden, als die schwere Haustür aufging und der Kammer- diener Sebastian die Verwandten empfing. Weiter kam er nicht. Der Hausherr hatte die Anfahrt seiner Verwandten wahrgenommen und bemühte sich, diese standesgemäss zu empfangen. «Mon cher cousin! Quel plaisir. Soyez le bienvenu.» «Hier sind wir plötzlich in Savoyen», murmelte Ferdinand, «reden hier eigentlich alle Welsch?»

«Pst, keine faulen Bemerkungen.»

Sie kämen pünktlich, «pour les quarts d‘heure», fand Cousine Cathérine. Eiligst wurden drei Gedecke nachgelegt. Da öffnete sich die Tür zum Esszimmer. Gleichzeitig und unüberhörbar stürmten Moritz, Ignaz und Thérèse herein, alle im Alter von Alex und Ferdi. Der Empfang war herzlich und wurde von den Gästen als echt und unverfälscht empfunden. Gesellig sass man zu Tisch. Tee und Limonade wurden gereicht. Die Erwachsenen unterhielten sich über dies und das. Die Kinderschar benahm sich vorbildlich. Kein ungefragtes Wort wurde gesprochen ausser »merci« oder »oui, ma cousine«. Umso mehr wurde Brot mit Butter und Aprikosenkonfitüre und Kuchen verspeist.

Nach einer guten halben Stunde gab Cousine Cathérine das erlösende Wort. Die Kinder dürften sich im Garten vertun.

Für den Oberst das Signal, sich mit Papa Alex in die Bibliothek zurückzuziehen. Mit einem Glas Cognac und einer Montheyer Zigarre waren die beiden beim Thema: Das Schloss im Tal bei Agarn. Nach einer guten Stunde war klar, es hatte nichts als gute Ratschläge gegeben. Der Oberst sei leider nicht in der Lage, seinem Cousin finanziell unter die Arme zu greifen. Das Schloss müsse unbedingt in der Familie bleiben. Die Bausubstanz sei gut. Gebäude und Umgebung müssten unbedingt in Ordnung gebracht werden. Hierfür könne der Oberst Personal zur Verfügung stellen. Viel Glück für die Suche nach einem günstigen Kredit für die Innensanierung.

Majorshof in den Galdinen

Das war die Zusammenfassung, welche auf dem Gang von der Bibliothek zur Haustüre stattgefunden hatte. Das Karriol stand schon bereit. Die Kinder sas- sen bereits auf. Papa Alex übernahm die Zügel. Freundliche Wünsche zum Ab- schied und hinaus aus dem Hof, Varen zu.

 

Bis kurz vor Varen wurde auf dem Karriol kein Wort gesprochen. Dann platzte es bei Papa Alex heraus: «Abgeblitzt.»

Alex und Ferdi sahen sich vielsagend an, sagten aber keinen Ton. Sie hatten Erfahrung. Wenn dicke Luft herrschte, schwieg man am besten. In Salgesch angekommen, gingen alle sofort ihren Arbeiten nach. Ferdinand kümmerte sich um Lisa. Alex brachte der Köchin das nötige Holz und den leeren Essenskorb. Auch beim Nachtessen herrschte knappste Beredsamkeit. Alle, die Familie und das Personal, merkten, ohne dass darüber ein Wort verloren worden wäre: Bei Alex Werra lagen Sorgen auf dem Tisch.

Nach dem Nachtgebet sassen Alex und Ferdi auf dem Bettrand und rekapitulierten den verflossenen Tag. Vor allem kam der Unterschied zwischen dem vorbildlich geführten Majorshof und dem Anwesen im Tal zur Sprache. Ebenso der Unterschied, wie die Familie in Leuk lebte und ihre in Salgesch.

Die beiden Buben beschlossen, die Lage nicht aus den Augen zu lassen und in den nächsten Tagen eine günstige Gelegenheit abzupassen, um mit dem Vater ein planerisches Gespräch zu führen. Mehr war für heute nicht mehr drin. Bei- de krochen in ihre Betten, löschten die Kerzen aus und legten sich schlafen.

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Ferdinand, Freiherr von Werra – Kapitel 1

1779

Ferdinand ist neun Jahre alt. Er sitzt zusammen mit seinem grossen Bruder auf der Bruchsteinmauer des Johanniterturms, nicht weit vom Pfarrhaus entfernt. Dort unterrichtet Pfarrer Gottsponer fünf Knaben aus der Burgschaft. Folgen- de Fächer werden behandelt: Christenlehre, Lesen und Schreiben, Rechnen und Latein. Der hochwürdige Herr Pfarrer leitet die Pfarrei- und Lateinschule des Dorfs. Bis heute konnten Adlige, Notabeln, Notare, Ärzte und die Geist- lichkeit lesen und schreiben. Das Volk behalf sich im Alltag mit Haus- und Familienzeichen. Die grosse Mehrheit der Erwachsenen war Analphabeten. Sie konnten weder schreiben noch lesen. In Salgesch konnten nur der Pfarrer, der Geometer und der Notar sich schriftlich ausdrücken. Dazu kamen noch adlige Männer und Vorstände von angesehenen Familien. Diese schickten ihre Kna- ben zum Pfarrer in den Unterricht. Für die Geistlichen hatte das zwei Vorteile. Einerseits konnten sie ihren Einfluss auf den Nachwuchs der Elite wahrnehmen und sie in den Katechismus, die Christenlehre und in Latein einführen. Ander- seits lernten die Jungen nebenbei Schreiben, Lesen und Rechnen. Die meisten von ihnen besuchten im Anschluss an diese Basisausbildung das Internat des Kollegiums Spiritus Sanctus in Brig. Für die männlichen Nachkommen von Johann Jakob Alex Werra war es eine abgemachte Sache. Sie mussten die Ma- tura in Brig bestehen, um einen Universitätsabschluss zu erlangen. Das war die Voraussetzung, um standesgemäss leben zu können. Ein Privileg, welches die Werras aus Salgesch nicht für sich in Anspruch nehmen konnten. Sie wären eigentlich in Leuk angesiedelt. Dort wohnten die Reichen des Familienstamms. Ein Vorfahre von J. J. Alex hatte in die Familie Balet eingeheiratet. Die Balets stellten in Salgesch regelmässig die Prokuratoren.

Damit waren sie eine einflussreiche und das Dorfleben prägende Familie. Aber Salgesch ist nicht Leuk-Stadt.

Salgesch mit Blick auf den Pfynwald

Der Grossvater von Ferdinand stammt aus der grossen Familie von Johannes Gabriel in Leuk. Dieser hatte 12 Kinder, wovon Grossvater Johann Joseph Alex. Dieser fand, es gäbe keinen Platz für ihn in der Stadt. Am Leichenmahl zur Be- erdigung von Johann Gabriel sassen J. J. Alex und Anna Christina Balet neben- einander. Wie es so geht bei Bestattungen, mit fortgeschrittener Zeit wurde die Trauergesellschaft immer fröhlicher. Der Walliser Wein tat sein Übriges. Alex und Christina fanden Gefallen aneinander. Ein Wort gab das andere. Ein Jahr später fand die Hochzeit in Salgesch statt. Alex war am Ziel seiner Wün- sche. Die Familie Balet war vermögend. Alex konnte das Leben eines begüter- ten Edelmannes führen. Geldsorgen brauchte er sich keine mehr zu machen. Den Preis, den er für die gute Partie zahlte, war der Auszug aus Leuca fortis, der Stadt im Wallis, wo die Musik gemacht wurde. Er musste in Kauf nehmen, jetzt in einem verschlafenen, heruntergekommenen Nest, in Salgesch, gelandet zu sein. Damit ist auch erklärt, dass Ferdinand in Salgesch geboren wurde und dort den Schulunterricht beim Dorfpfarrer besuchte.

«Mir ist aufgefallen, Alex, dass du von den biblischen Geschichten in der Christenlehre begeistert bist.»

«Stimmt, mich interessieren die Personen in den Geschichten, und ich denke mir oft, wie es wohl wäre, wenn Jesus heute unter uns leben würde.»

«Das ist ja alles Vergangenheit. Das ist alles vorbei. Was mich interessiert ist, wie geht es weiter. Beim Katechismuslesen langweile ich mich zu Tode.»

«Warum gehst du dann überhaupt in den Unterricht, Brüderchen?»

«Weil es eben so ist. Weil es ohne Bildung, ohne Latein und Schreiben und Lesen nicht geht. Hast du schon einmal einen Notar oder einen Doktor gesehen, der nicht lesen kann?»

«Natürlich! Wir gehören zu der Oberschicht. Wenn wir dort mitmachen wollen, kommen wir um die Matura und die Universität nicht herum.»

«Und dann muss man noch heraus aus Salgesch, diesem Kaff. Heraus nach Raron, Brig oder Leuk.»

«Schon gut. Aber hast du vergessen, dass es auch noch Geld und Vermögen braucht?»

«Das ist es ja, was bei uns in grossem Mass fehlt. Grossvater Alex hatte das begriffen. Er ist aus Leuk heraus und hat hier ein Vermögen geheiratet. Leider ist davon nichts mehr übrig.»

«Es ist ein Jammer. Wir sind ganz schön heruntergekommen. Nur noch eine einzige alte Stute im Stall. Nicht einmal ein richtiger Stallknecht. Wären da nicht Viktor, der alles in einem ist, Stallknecht, Rebmeister, Kutscher ohne richtige schöne Kutsche, und die Köchin und die Magd, wir hätten überhaupt kein Personal. Nennst du das einen gepflegten, noblen Haushalt?»

«Ferdi, höre auf zu meckern. Wir leben in einer guten Familie. Wir leiden nicht an Hunger. Wir haben ein gutes Dach über unserem Kopf. Was willst du mehr?»

«Alex, wir leben nicht standesgemäss. Wir unterscheiden uns nicht von der Familie des Bäckers. Ich will mehr. Ich will Luxus. Ich will Prunk. Wie einst unser Vorfahr Johannes der Prächtige, der den Majorshof in Leuk gebaut hat.»

«Wenn du dorthin willst, mach erstmal, dass du überhaupt nach Brig ins Kollegium kommst!»

»Das schaffe ich schon. Nächstes Jahr wirst du dort schon einziehen. Bei mir dauert das noch drei Jahre. Alex, schau mal, die Katze von Frau Cina ist trächtig.«

«Woher weisst du, dass das die Katze von den Cinas ist?»

«Die wohnt in Cinas Stall. Wenn sie geworfen hat, frage ich Frau Cina, ob ich eine haben könnte. Ich hätte gerne einen eigenen Tiger in unserem Zimmer.»

«Spinnst du? In meinem Zimmer …»

«…unser Zimmer …»

«In unserem Zimmer bekommt eine Katze kein Wohnrecht. Katzen gehören in den Stall und haben Mäuse und Ratten zu fangen und zu töten.»

«Ich glaube, zu Hause, im Hof, ruft unsere Pflicht. Wenn wir genügend Per- sonal hätten, bräuchtest du nicht Holz zu spalten und ich müsste den müden Gaul nicht putzen und bewegen.»

Die zwei schlenderten dem Hof zu. Viktor kam ihnen entgegen. «Alles be- reit zum Holzspalten. Lisa sollte auch noch bewegt werden.» Ferdinand ging schnurstracks in den Stall. Lisa begrüsste ihn, indem sie den Kopf hob. Sofort bekam sie einen Apfel. Im Stall stand ein Korb voll Fallobst. Ferdi führte Lisa auf den Sattelplatz und entfernte den Halfter. Lisas Mähne wurde von allen alten Haaren befreit und gekämmt. Dasselbe geschah mit dem Schwanz. Mit Schwamm und Wasser wurden die Pferdefüsse gewaschen. Zuerst die Hinter- hand, dann die Vorderhand. Seit Ferdinand laufen konnte, war er im Stall an- zutreffen gewesen. Als Dreijähriger setzte ihn Viktor in den Sattel und ritt mit ihm vorsichtig übers Feld. Von Viktor hatte er alles gelernt. Richtig im Sattel sitzen. Das Zaumzeug anziehen. Zum sechsten Geburtstag ritt er zum ersten Mal allein auf Lisa. Neben ihm ritt Viktor. Er hatte beim Geometer ein Pferd dazu ausgelehnt. Heute war Ferdinand längst so weit, dass er mit Lisa allein ausreiten konnte. Lisa war schon eine alte Dame. Sie ging ruhig im Tritt und machte keine ungewohnten Sprünge mehr.

Sauber geputzt stand Lisa da und kaute zufrieden an ihrem Apfel. «Du solltest Lisa nicht so verwöhnen», kritisierte Alex, als er dem kleinen Bruder half, den Zaum anzuziehen und den Sattel festzuzurren. «Sie ist halt ein Schleckmaul», antwortete Ferdi, als er aufsass. Vorher hatte er das Lederzeug gefettet und die Steigbügel poliert. Im Trott ging es zum Hof hinaus. Zuerst immer eine Runde durchs Dorf und dann um die Kirche herum. Es lag Ferdinand viel daran, von den Einwohnern zu Pferd gesehen und gegrüsst zu werden. Dann kam er sich wie ein Edelmann vor, aufgerichtet auf dem Pferderücken sitzend und die Fussgänger grüssend. Dass sich alle hinter seinem Rücken über sein Gehabe lustig machten, bemerkte Ferdinand nicht. Wenigstens tat er so. Es kränkte ihn, dass er nicht die Kleider eines Edlen trug. Er besass weder Reithosen noch Reitstiefel. Hoch zu Ross, in seinen Werktagskleidern, kam er sich vor wie Don Quichotte. Die Geschichte dieses armen Rittersmannes aus Spanien hatte ihm Bringfried Constantin, der Sohn des Notars, erzählt. Das war letzten Sommer in den Kollegiumsferien gewesen. Bringfried war schon zwei Jahre auf dem Kollegium.

Inzwischen war Ferdinand mit Lisa wieder zurück im Dorf. Am Dorfbrunnen durfte Lisa sich laben. Ferdi blieb im Sattel und schaute in die Runde. Er wollte sichergehen, dass alle, die da ihrer Arbeit nachgingen, ihn auch wirklich ge- sehen hatten.

Zurück im Hof, half ihm Viktor aus dem Sattel. Zusammen nahmen sie Zaum und Lederzeug ab. Ferdinand legte Lisa behutsam den leichten Stallhalfter an und begann sie abzureiben, zu waschen und zu bürsten. Mit einer Rossdecke zugedeckt, wartete die Stute geduldig, bis Ferdi die Box geputzt hatte und fri- sches Stroh den Boden bedeckte. Auch standen Wasser und Hafer bereit, um Lisa zu empfangen. Zum Abschied gab es noch ein paar Klapse auf den Hals und erneut einen Apfel ins Maul. Alex war mit den Holzarbeiten so weit, dass sie zusammen zu Ludwina in die Küche gehen konnten. Unterwegs wollte Fer- dinand wissen, wie es eigentlich mit dem Schloss im Tal des Rotten, dem alten Mageranschloss in Agarn, stehe.

«Das Schloss gehört effektiv uns. Papa hat mir gesagt, es sei unbewohnbar. Eine Wiederinstandstellung koste ein Vermögen. So viel Geld haben wir leider nicht. So bleibt unser Schloss unbewohnt und vergammelt mit der Zeit.»

«Sic transit gloria mundi.»

«Du bist ja richtig gut in Latein, Brüderchen.»

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Dernière

Ich habe mir fest vorgenommen mutig zu sein. Nicht wehmütig zu sein. Und nicht in Emotionen zu fallen.

Jetzt, am Schreibtisch sitzend, habe ich doch eine Kröte im Hals. Dieser Text wird meine letzte Kolumne sein. Immer habe ich die Tatsache, dass sie eines Tages kommen wird, vor mir hergeschoben. Die Tatsache des letzten Blogs.Mir gehen die Themen aus.
In Wirklichkeit stimmt das nicht. Wie oft bin ich am Anfang des Monats herum getigert. „Was um Himmelswillen soll ich bloss diesen Monat erscheinen lassen? Der Redaktionsschluss steht schon vor der Tür.“ Dann geschah es. Meistens in der Nacht, in schlaflosen Stunden. Die Idee war da! Zwei Wochen später war der Text im Kasten.

Nein!
Es sind nicht die fehlenden Ideen.
Es ist die fehlende Kraft. Sowohl die körperliche Kraft – der Kampf gegen die Schwerkraft. Wie auch die geistige Kraft – die Energie, die für neue Ideen nötig ist, bleibt aus. Beide Kräfte haben in letzter Zeit abgenommen.

Diese Veränderung hat eine eigene Macht. Eine versteckte Dynamik, die uns packt, ohne dass wir sie im Augenblick wahrnehmen. Unvermittelt und ungefragt. Nach einiger Zeit zeigt sie ihr wahres Gesicht. Überzeugend und echt und unverstellt.
Ich mag keine datierten Abliefertermine mehr. Ich mag es nicht mehr, von der Zeit unter Druck gesetzt zu werden. Logischerweise ist es damit mit der monatlichen Kolumne aus.
Nach zehn Jahren und 150 Beiträgen in Deutsch und Französisch wird es Gewissheit: Es ist an der Zeit aufzuhören. An meinem neunzigsten Geburtstag erscheint diese Kolumne zum letzten Mal.

Es waren bedeutende Jahre von 2013 bis 2023. Beim Zurückblicken geht mir auf, wie sehr sich alles in dieser Zeitspanne verändert hat. Wesentlich heftiger als in den Dekaden davor. Pandemien, Kriege und ein enormer technischer Fortschritt. Ich hatte in den letzten Jahren viel Zeit damit verbracht, über die Gegenwart nachzudenken. Das Ergebnis heute: Ich verstehe sie kaum mehr. Mehr Fragen als Antworten liegen herum. Um Geschichten zu schreiben, ist die Zeit für mich vorbei.
So viel bis hierher.

Jetzt möchte ich mich bedanken. Sie liebe Leserin, lieber Leser haben mir viel zurückgegeben. Danke für die vielen Gespräche und Kommentare. Danke den vielen Menschen, die mir im Hintergrund zugedient und geholfen haben. Meine Tochter Susanna, die als strenge Lektorin dafür sorgte, dass die Logik im Wortfluss meiner Gedanken nicht verloren ging. Und meinem Web-Master, Andreas Lautenschlager, der immer einen Ausgang aus dem Irrgarten der künstlichen Intelligenz fand.

Für die französischen Übersetzungen war in den ersten Jahren mein treuer Freund Hans Rhyn in Paris zuständig. Später übernahm Edmond Berrang, mein Schwiegersohn, diese Arbeit. Ohne sie beide wäre es beim Deutsch geblieben. Dank dieser Übersetzungsarbeit haben viele französischsprachige Verwandten und Bekannten die Möglichkeit bekommen, meine Aufsätze in ihrer Muttersprache zu lesen.
Und nun muss ich für diesen letzten Blog ein Ende finden.

Mit den Kolumnen ist es aus. Die Website aber bleibt bestehen. Damit bleiben alle Texte und alle Kommentare im Internet erhalten.
Vermutlich wird mich völlig ungeplant wieder einmal die Lust überfallen, das eine oder andere zu publizieren.

Sicher jedoch nicht mehr periodisch am 22. eines jeden Monats.

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Dernière

J’ai pris la ferme résolution d’être courageux. De ne pas être nostalgique. Et de ne pas tomber dans l’émotion.
Maintenant, assis à mon bureau, j’ai quand même un crapaud dans la gorge. Ce texte sera ma dernière chronique. J’ai toujours repoussé le fait que cela arrivera bien un jour. Le fait établi du dernier blog
.Je suis à court de sujets.

En réalité, ce n’est pas tout à fait vrai. Combien de fois ai-je tourné comme un lion en cage en début de mois. “Que vais-je bien pouvoir publier ce mois-ci? Le délai rédactionnel est déjà à la porte.” Et puis, c’est arrivé. La plupart du temps durant la nuit, pendant des heures d’insomnie. L’idée était là! Deux semaines plus tard, le texte était dans la boîte.
Non!
Ce n’est pas le manque d’idées.

C’est le manque de force. Tant la force physique – la lutte contre la pesanteur. Tout comme l’énergie mentale – cette énergie nécessaire pour de nouvelles idées fait défaut. Ces deux forces ont diminué ces derniers temps.

Ce changement possède en fait son pouvoir propre. Une dynamique cachée, qui nous saisit sans que nous la percevions sur le moment. Sans crier gare et sans qu’on le lui demande. Après un certain temps, elle montre son vrai visage. Convaincant, authentique et sans fard.

Je n’aime plus les dates de livraison datées. Je n’aime plus être pressé par le temps. Logiquement, c’est donc la fin de la chronique mensuelle.
Après dix ans et 150 articles en allemand et en français, c’est une certitude: il est temps d’arrêter. Cette chronique paraîtra pour la dernière fois le jour de mon quatre-vingt-dixième anniversaire.

Ce furent des années importantes, de 2013 à 2023. En rétrospective, je me rends compte à quel point tout a changé durant cette période. Bien plus que dans les décennies précédentes. Des pandémies, des guerres et un énorme progrès technique. Ces dernières années, j’avais passé beaucoup de temps à réfléchir au présent. Résultat à ce jour: je ne le comprends presque plus. Il y a plus de questions que de réponses. Et pour écrire des histoires, mon temps est écoulé.
Tant de choses jusqu’ici.

Maintenant, je voudrais vous remercier. Vous, chère lectrice, cher lecteur, m’avez beaucoup apporté en retour. Merci pour les nombreuses discussions et les commentaires. Merci aux nombreuses personnes qui m’ont servi et aidé en arrière-plan. Ma fille Susanna, qui, en tant que correctrice rigoureuse, a veillé à ce que la logique ne se perde pas dans le flux de mes pensées. Et à mon Webmaster Andi Lautenschlager Au cours des premières années, mon fidèle ami Hans Rhyn à Paris était responsable des traductions françaises. Plus tard, Edmond Berrang, mon gendre, s’est chargé de ce travail. Sans eux deux, nous en serions restés à l’allemand. Grâce à ce travail de traduction, de nombreux parents et connaissances francophones ont eu la possibilité de lire mes essais dans leur langue maternelle.

Et maintenant, je dois trouver le dénouement à ce dernier blog.
Les chroniques sont terminées. Mais le site web reste en place. Tous les textes et tous les commentaires resteront donc sur Internet.

Il est probable que l’envie de publier l’une ou l’autre chose me prenne à nouveau, de manière totalement imprévue.

Mais certainement plus périodiquement, le 22 de chaque mois.

 

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Fledermäuse

In den ersten sechs Lebensjahren hatte ich aus Märchen Comics und Kindererzählungen einiges über Fledermäuse erfahren. In Holland lebten diese Tiere unter keinem guten Stern. Ihnen wurde kein gutes Haar gelassen. Die im Dämmerlicht des Abends herumfliegenden Mäuse kamen in den Geschichten als Boten des Ungeheuerlichen daher.

Aus heutiger Sicht kann ich das verstehen. Holland das Land der Tulpenzucht und der Windmühlen. Das Land, welches unter dem Meeresspiegel liegt und von Dünen und Deiche von der Überflutung geschützt wird. Wo Menschen Polder trockenlegen, um Lebensraum zu schaffen. Wo Wasserbauingenieure raffinierte Bauvorhaben wie die Delta-Werke in Zeeland entwickelten. Das Land der grossen Seefahrer im Mittelalter und der Berühmtheiten wie Rembrandt, Franz Hals, Jan Steen und van Gogh, welche Massstäbe in der Kunstmalerei setzten. Dass in diesem Palmares die Fledermaus keine Bedeutung hatte, um besonders geliebt zu werden, kann ich heute verstehen.
Als wir während des zweiten Weltkrieges in Leuk-Stadt wohnten, bekam ich diese unauffällige Wesen aus dem Tierreich zum ersten Mal lebend zu Gesicht. Oft war ich im Kirchenturm anzutreffen und half dem Sigrist beim Glockenläuten. Dort hingen sie artig aufgereiht wie Brotsäcken und schliefen kopfüber hängend. Mit dem Kopf nach unten schlafen zu können kam mir seltsam vor. Da läuft einem doch alles Blut in den Schädel. Etwa dreissig an der Zahl waren es. Für mich lebten sie in einer verkehrten Welt. Sie schlafen am Tag, wenn alle Welt emsigen Tätigkeiten nachgeht. Das ständige Glockengeläute der Turmuhr schien ihrem Nickerchen keinen Abbruch zu tun. Nachts gehen sie auf die Jagd.
Viel Gutes war auch in Leuk über diese Tiere nicht zu hören. Es handle sich um dämonische, teuflische Wesen, hiess es. Der Satan selbst hatte sogar die gleichen Flügel wie die Fledermäuse. Die Flattertiere verwickelten sich oft in den Haaren von jungen Frauen. In Leuk liebte man solche abergläubische Erzählungen. Geschichten, die von den Älteren noch mit Gruseltaten aller Art ausgeschmückt wurden. Die grossen Buben brüsteten sich gerne damit, um den Mädchen zu imponieren und den Kleinen in Angst und Bange zu versetzen.
Abends beim Einnachten liebte ich es, auf der Terrasse sitzend dem Auftritt dieser besonderen Lebewesen zu beobachten. Ihnen gehörte der Himmel, das war mir klar. Ihr Element war die Luft und der Flug. Sie flogen mit hoher Geschwindigkeit zick-zack durch die Lüfte und ernährten sich im Flug von Insekten. Stechmücken wurden verspeist. Das ist eine gute Nachricht. Jedes Mal ein plagender Blutsäuger weniger. Sie waren doch keine böse Biester, diese kleine Flieger. Sie taten niemanden etwas zu Leide. Im Gegenteil, sie waren sehr nützlich mit ihrem Reduzieren der lästigen Insekten. Die Fledermäuse werden zu Unrecht so schlecht beleumundet, fand ich.

 

In der Biologie an der Kanti in Luzern wurde meine Sympathie für die fliegenden Mäuse weiter ausgebaut. Sie sind die einzigen Säugetiere die aktiv fliegen können. Allerhand. Sie sind auch die kleinsten aller Säugetiere. Wer hätte das gewusst? Es gibt keine kleinere.

Es kommt noch besser! Ein Drittel aller hiesigen Säugetiere sind Fledertiere, Flughunde und Fledermäuse. Bei uns leben etwa dreissig verschiedene Arten. Im Flug orientieren sie sich mit Biosonar. Eine Echoortung im Ultraschallbereich. Jedes Mäuschen hat sein eigenes Radar. Pro Flug vertilgen sie zwischen 800 bis 1000 Insekten.
Wie kommt es, dass wir so wenig über diese nützliche Tierart wissen? Sie sind nachtaktiv und schlafen am Tag an einem Balken hängend den Kopf nach unten. Ihre Flugbahn unterscheidet sich deutlich von jene der Vögel. Mit hoher Geschwindigkeit ziehen sie scheinbar ziellos ihre Bahn. Alles etwas ungewohnt. Okkulte Stories über blutsaugende Vampire schicken sie total in die Verbannung. Und geben ihnen den Rest.
Auch heute taucht am Abendhimmel bei mir zu Hause eine kleine nach Beute jagende Fledermaus auf. Freundlich sehe ich ihr zu und fliege in Gedanken mit. Für mich ist sie ein Symbol geworden. Ein Sinnbild für falsches Wissen. Für Unwissen, welches aus falschen Beobachtungen zusammengeschustert wurde und ein ungebührliches Scheinwissen entwickelte. Ähnlich, wie im Mittelalter unsere Mutter Erde als ebene Platte und nicht als Kugel wahrgenommen wurde. Nicht überprüfte scheinbare Tatsachen die, je mehr man sie weiter gibt immer mehr wahr werden.

Fledermäuse leben in grosse Gruppen. Sie sind hochsoziale Wesen. Ein solches Lebewesen welches uns, wenn wir schlafen, die Mücken vom Leibe hält und uns einen angenehmen Traum ermöglicht, sollte doch geliebt und nicht geächtet werden. Ein Flugtier welches die Nacht zum Tage macht. Welches sich am Tag diskret in den Glockenturm zurückzieht. So ein Lebewesen kann doch kein Dämon sein. Höchste Zeit ihm eine bessere Nachrede zu halten.

 

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Chauve-souris

Pendant les six premières années de ma vie, j’avais appris beaucoup de choses sur les chauves-souris par le biais de contes, bandes dessinées et récits pour enfants. En Hollande, ces animaux ne vivaient pas sous une bonne étoile. On ne leur faisait pas de cadeaux. Les souris qui virevoltaient dans la pénombre du soir apparaissaient dans les histoires comme des messagères de monstres.
Vu d’aujourd’hui, je peux le comprendre. La Hollande, pays de la culture de tulipes et des moulins à vent. Le pays qui se trouve sous le niveau de la mer et qui est protégé de la submersion par des dunes et des digues. Où les hommes assèchent les polders pour créer un espace vital. Là où les ingénieurs hydrauliciens ont développé des projets de construction ingénieux comme les Travaux du Delta en Zélande. Le pays des grands navigateurs du Moyen-Âge et des célébrités comme Rembrandt, Frans Hals, Jan Steen et van Gogh, qui ont posé des jalons dans le domaine de l’art pictural. Je peux comprendre aujourd’hui qu’au milieu de ce palmarès, la chauve-souris n’ait pas eu la popularité d’être particulièrement aimée.

Lorsque nous habitions à Loèche pendant la Seconde Guerre mondiale, c’était la première fois que je voyais in vivo ces discrètes créatures du règne animal. Je me trouvais souvent dans le clocher de l’église pour aider le sacristain à sonner les cloches. Là, elles étaient bien alignées, suspendues comme des sacs à pain et dormaient la tête en bas. Dormir la tête en bas me semblait étrange. C’est le sang qui s’accumule dans le crâne. Elles étaient une trentaine. Pour moi, elles vivaient dans un monde à l’envers. Elles dorment le jour, quand tout le monde vaque à ses occupations. Le tintement continu de l’horloge de la tour ne semble pas perturber leur sieste. La nuit, ils partent à la chasse.
A Loèche non plus, on n’entendait pas beaucoup de positif quant à ces animaux. Il s’agissait d’êtres démoniaques, diaboliques, disait-on. Satan en personne aurait les mêmes ailes que les chauves-souris. Ces animaux volants se prenaient parfois leurs griffes dans les cheveux des jeunes femmes. A Loèche, on aimait ce genre de récits superstitieux. Des histoires que les plus âgés pimentaient encore d’horreurs en tout genre. Les grands garçons s’en vantaient volontiers pour impressionner les filles et faire peur aux petits.
Le soir, à la tombée de la nuit, j’aimais observer, assis sur la terrasse, l’apparition de ces êtres vivants si particuliers. Le ciel leur appartenait, c’était évident pour moi. Leur élément était l’air et le vol. Ils zigzaguaient à grande vitesse dans les airs et se nourrissaient d’insectes en vol. Les moustiques étaient dévorés. C’est une bonne nouvelle. A chaque fois, une sangsue de moins. Après tout, ce n’étaient pas de méchantes bêtes, ces petits êtres moucheronnant. Ils ne faisaient de mal à personne. Au contraire, elles étaient très utiles en réduisant le nombre d’insectes irritants. Je trouvais que les chauves-souris étaient à tort mal considérées.

En biologie, au gymnase à Lucerne, ma sympathie pour les souris volantes s’est encore accrue. Elles sont les seuls mammifères à pouvoir voler activement. Qui l’eut cru? Elles sont aussi les plus petits de tous les mammifères. Qui l’aurait su? Il n’y a pas plus petit.
Et ce n’est pas tout! Un tiers de tous les mammifères locaux sont des chauves-souris, des roussettes ou d’autres chiroptères. Une trentaine d’espèces différentes vivent chez nous. En vol, elles s’orientent grâce à un sonar biologique. Il s’agit d’un système d’écholocation dans le domaine des ultrasons. Chaque souris a son propre radar. Elles dévorent entre 800 et 1000 insectes par vol.
Comment se fait-il que nous en sachions si peu sur cette espèce utile? Elles sont actives la nuit et dorment le jour, suspendues à une poutre, la tête en bas. Leur trajectoire de vol est très différente de celle des oiseaux. Elles se déplacent à grande vitesse, apparemment sans but avisé. Tout cela est un peu inhabituel. Les histoires occultes de vampires suceurs de sang les mettent totalement à l’écart. Et leur donnent le change.
Aujourd’hui encore, une petite chauve-souris à la recherche d’une proie apparaît dans le ciel du soir près de chez moi. Je la regarde avec bienveillance et je vole avec elle en pensée. Pour moi, elle est devenue un symbole. Un symbole de faux savoir. Pour l’ignorance, qui a été bricolée à partir d’observations erronées et qui a développé un faux savoir indécent. De la même manière qu’au Moyen-Âge, notre mère la Terre était perçue comme une plaque plane et non comme une sphère. Des faits apparents non vérifiés qui, plus on les répète, plus ils deviennent vrais.
Les chauves-souris vivent en grandes communautés. Ce sont des êtres hautement sociaux. Un tel être vivant qui, lorsque nous dormons, nous éloigne des moustiques et nous permet de faire un rêve agréable, devrait pourtant être aimé et non pas mis au ban de la société. Un animal volant qui transforme la nuit en jour. Qui se retire discrètement dans son clocher le jour. Un tel être ne peut pas être un démon. Il est grand temps d’en changer l’épilogue.

 

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Profis

Am Wochenende des ersten Mai läutete bei Timothée Monnet in Fontenais (Jura) morgens um acht Uhr das Telefon. Ein Anruf so früh an einem Samstag liess nichts Gutes ahnen. Es war die Securitas. Die Villa von Timothée wird elektronisch überwacht. Ein freundlicher Herr meldete, die Funkverbindung zur Zentrale sei unterbrochen. Und richtig. Vor dem Sicherungskasten stehend, sprang dem Hausherr der Fehler sofort ins Auge. Die Hälfte des elektrischen Netzes war ausser Betrieb. Ausgerechnet heute! Der erste Mai fiel dieses Jahr auf einen Montag. Das gab ein langes Wochenende. Bis Dienstag war frei. Was für ein Glück am Frühlingsbeginn. Viele profitierten von der günstigen Gelegenheit und waren unterwegs. Auch Laurent Gadien, der Elektriker des Dorfes. Er war mit anderen Senioren an einem Faustballturnier in Chaumont. Das vernahm Timothée von seinem Telefonbeantworter. Wunder über Wunder, zwei Stunden später hatte er den Gesuchten am Draht. Er würde einen Freund bitten vorbeizuschauen.
Veronique rief verzweifelt um Hilfe. Sie stand vor der Garage. Sie konnte das Tor nicht öffnen. Kein Strom. Kein Problem, es gibt bei Stromausfällen eine Möglichkeit, die Garage mit dem Hausschlüssel von Hand zu öffnen. Das gelang nicht. Die Mechanik war nicht zu bewegen. Seit mehr als vierzig Jahren wurde sie nie benötigt. Wahrscheinlich war alles verrostet und verklemmt. Nervosität machte sich breit. Veronique wollte für die Feiertage einkaufen. Kein Auto heisst, nichts zu essen. Albertine, die Witwe von nebenan, wollte den Briefkasten leeren‚ und war deshalb zugegen. Sie stellte sofort ihr Auto zur Verfügung. Ihr Garagentor stiegt leise knarrend in die Höhe. Der Nachschub war gesichert. Langsam dämmerte es allen Beteiligten. Die Lage war ernst. Kein Strom, keine Heizung, kein warmes Wasser. Kalt duschen war sehr unerwünscht. Auch der PC war stumm. Kein Internet.
Um zwei Uhr nachmittags war Jules Luissier da. Der Pikettdienst der Heizungsfirma Viessmann funktionierte vorbildlich und zuverlässig. Sein Monteur war ein Profi von altem Schrot und Korn. Er beruhigte Veronique. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Kalt duschen stünde nicht im Programm. Luissier verstand sein Geschäft. Eine Stunde später brummte die Heizung wie gewohnt.
Timothée hatte inzwischen mit einem langen Verlängerungskabel den PC mit Strom aus einer anderen Steckdose wieder zum Laufen gebracht.
Der Alltag war so weit hergestellt. Der Kochherd, der Backofen und der Kühlschrank waren am anderen Teil der Stromversorgung angeschlossen und hatten stets funktioniert. Das Mittagessen konnte aufgetragen werden. Trotzdem lag immer noch eine düstere Stimmung in der Luft. Die Garagen blieben zu. Nichts zu machen. Die Mobilität war damit sehr eingeschränkt. Inzwischen wurde es auch Timothée bewusst, was es bedeutet, über keine Elektrizität zu verfügen. Keinen Strom zu haben. Es besteht ein Unterschied, davon in der Zeitung zu lesen oder es in Wirklichkeit – live – zu erleben.
Am Telefon meldete sich der Stromerkollege von Laurent Gadien. Er sei mit seinem Auto in der Nähe, fände aber die Adresse nicht. Timothée spielte den GPS und lotste ihn ins Quartier. Es war schon fünf Uhr. Gérard Legeret hiess der Ersatzelektriker, ein erfahrener Monteur, so um die fünfzig. Interessiert schaute der Hausherr ihm bei der Arbeit zu. Auch er ein Profi. Er stand in der Waschküche, folgte dem Kabel und landete in der Heizung. Der Wasserboiler war schon auf 70° C angestiegen. «Wohin führt dieses Kabel?» «In die Sauna.» Im Freien brannte die Gartenbeleuchtung. Schon wieder etwas, das funktioniert. Auch die Pumpe zum Schwimmbad tat ihre Arbeit. Legeret öffnete die Dosen in der Sauna. «Es muss die Sonnenstore sein.» Sprachs, kletterte auf einen Gartenstuhl, rüttelte an einem Verbindungsstecker, und ein Wasserschwall spritzte ihm ins Gesicht. Vom Freitag auf den Samstag hatte es heftig geregnet. Das hat dem Kabel und dem Stecker nicht gutgetan.
Timothée eilte hinunter zu den Garagen. Wie wenn nichts gewesen wäre, hoben sich die Tore. «Ausser der Store ist alles wieder betriebsbereit.» Er werde neue Stecker besorgen und am Mittwoch wieder vorbeikommen.
Am besagten Tag stand Gérard während zwanzig Minuten auf der Leiter und tat seine Arbeit. Timothée gesellte sich zu ihm und sah ihm dabei zu. Da war wirklich ein Fachmann am Werk. Jeder Handgriff sass.
Der Hausherr erlebte den Unterschied zwischen eine Realität ohne Strom und der Wirklichkeit wie Profis ein solches Problem aus der Welt schaffen können.
Wie gut funktioniert doch unsere Umgebung in Notsituationen. Es gibt die gute Nachbarin. Es gibt den guten Servicedienst der Heizungsfirma. Es gibt den guten Elektriker, der, auch wenn er Freizeit hat, eine Aushilfe organisiert und diese das Problem löst. Alles Profis.

Und es schadet nichts zu erleben, wie ein Stromausfall das ganze Leben auf den Kopf stellen kann.

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Professionnels

Le week-end du premier mai, à huit heures du matin, le téléphone de Timothée Monnet à Fontenais (Jura) a sonné à l’improviste. Un appel aussi tôt un samedi ne laissait présager rien de bon. Il s’agissait de Securitas. En effet, la villa de Timothée est placée sous surveillance électronique. Un aimable monsieur annonça que la liaison radio avec la centrale était interrompue. Et c’était parfaitement exact. Se tenant droit devant la boîte à fusibles, l’erreur a immédiatement sauté aux yeux du maître de maison. La moitié du réseau électrique était hors service. Et ce, ce jourd’hui, vraiment! Cette année, le premier mai tombe un lundi. Cela résultait donc en un long week-end. Congé jusqu’à mardi. Quelle chance en ce début de printemps. Nombreux sont ceux qui ont profité de cette agréable occasion pour se déplacer. Même Laurent Gadien, l’électricien du village. Il était avec d’autres seniors à un tournoi de Fistball à Chaumont. C’est ce que Timothée a saisi de son répondeur téléphonique. Miracle sur miracle, deux heures plus tard, il avait la personne recherchée au bout du fil. Il demanderait à un ami de passer.
Véronique appelait désespérément à l’aide. Elle se tenait devant le garage. Pas moyen d’ouvrir la porte. Pas de courant. Pas de problème, en cas de panne de courant, il existe un moyen d’ouvrir le garage manuellement avec la clé de la maison. Cela n’a pas réussi. La mécanique ne pouvait pas être déplacée. Depuis plus de quarante ans, elle n’avait jamais été utilisée. Tout était probablement rouillé et bloqué. La nervosité s’installait. Véronique voulait faire des courses pour les fêtes. Pas de voiture signifie, rien à manger. Albertine, la veuve d’à côté, était en train de vider sa boîte aux lettres et était donc présente. Elle a immédiatement mis sa voiture à disposition. La porte de son garage s’est levée en grinçant doucement. Le ravitaillement était assuré. Tous les participants commençaient à réaliser. La situation était grave. Pas d’électricité, pas de chauffage, pas d’eau chaude. Les douches froides étaient plutôt malvenues. Même l’ordinateur restait muet. Pas d’internet.
A deux heures de l’après-midi, Jules Luissier était là. Le service de piquet de l’entreprise de chauffage Viessmann a fonctionné de manière exemplaire et fiable. Son monteur était un professionnel de la vieille école. Il rassura Véronique. Elle n’avait pas à s’inquiéter. Les douches froides ne sont pas prévues au programme. Luissier connaissait son affaire. Une heure plus tard, le chauffage ronronnait comme d’habitude.
Entre-temps, Timothée avait utilisé une longue rallonge pour remettre le PC en marche en le branchant sur une autre prise électrique.
La vie quotidienne était ainsi rétablie. La cuisinière, le four et le réfrigérateur étaient branchés sur l’autre partie de l’alimentation électrique et avaient toujours fonctionné. Le déjeuner pouvait être servi. Malgré tout, il y avait encore une atmosphère sombre dans l’air. Les garages restaient fermés. Rien à faire. La mobilité était donc très limitée. Entre-temps, Timothée a également pris conscience de ce que cela signifiait de ne pas avoir d’électricité. Pas du tout d’électricité. Il y a une différence entre le lire dans le journal et le vivre en direct.
Au téléphone, le collègue électricien de Laurent Gadien s’est manifesté. Il était dans les environs avec sa voiture, mais ne trouvait pas l’adresse. Timothée a joué au GPS et l’a guidé jusqu’au quartier. Il était déjà cinq heures. L’électricien de remplacement s’appelait Gérard Legeret, un monteur expérimenté d’une cinquantaine d’années. Le maître de maison le regardait travailler avec intérêt. Lui aussi était un professionnel. Il se tenait dans la buanderie, suivait le câble et se retrouvait dans le chauffage. Le chauffe-eau était déjà monté à 70°. “Où va ce câble ?” “Dans la sauna”. A l’extérieur, l’éclairage du jardin était allumé. Encore un truc qui marche. La pompe menant à la piscine faisait également son travail. Légeret a ouvert les boîtes de fusibles dans la sauna. “Ce doit être le store solaire”. Aussitôt dit, aussitôt fait, il grimpa sur une chaise de jardin, secoua une fiche de connexion, et une giclée d’eau lui éclaboussa le visage. Il avait plu abondamment du vendredi au samedi. Cela n’avait pas arrangé ni le câble, ni la fiche.
Timothée se déplaça vers le garage. Comme si de rien n’était, les portes se levèrent. “À part le store, tout est à nouveau opérationnel”. Il irait chercher de nouvelles prises et repasserait mercredi.
Le jour dit, Gérard est resté vingt minutes sur l’échelle à faire son travail. Timothée l’a rejoint et l’a regardé faire. C’était un vrai professionnel qui travaillait là. Chaque geste était parfait.
Le maître de maison a ainsi pu constater la différence entre une réalité sans électricité et la façon dont les professionnels peuvent résoudre un tel problème.
Comme notre environnement fonctionne bien dans ces situations d’urgence. Il y a le bon voisin. Il y a le bon service après-vente de l’entreprise de chauffage. Il y a le bon électricien qui, même s’il a du temps libre, organise une aide et celle-ci résout le problème. Ce sont tous des professionnels.
Et cela ne fait pas de mal de voir comment une panne de courant peut bouleverser toute une existence.

 

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Alchemie

Fällt ihnen liebe Leserin, lieber Leser bei diesem Titel ein düsteres Kellergeschoss ein, in dem ein paar obskur gekleidete Männer vor einer kochenden Brühe sitzen? Tiefstes dunkles Mittelalter? Die Kerle versuchen, aus Blei Gold zu machen. Alchemie hat einen Anstrich von Okkultismus.
Immerhin, alle grosse Kulturen, die Ägypter, die Chinesen, die Araber, die Juden, die Griechen und auch die Christen betrieben antike Chemie. Sie alle versuchten herauszufinden, was die Welt in Innersten zusammenhält.

Viele Metalle kommen in der Natur gediegen, elementar, rein und in ungebundener Form vor. Besonders geeignet, fanden die Alchemisten, seien Blei, Quecksilber und Gold. Sie liessen sich wegen ihres tiefen Schmelzpunktes einfach über einem Holzfeuer verflüssigen. Blei war der Favorit bei diesen Untersuchungen. Tagelang wurde es gekocht. Als es wieder erstarrt war, befand sich unten im Schmelztiegel etwas Gold. «Ich kann aus Blei Gold machen. Ich muss das Blei nur lange genug in der Hitze flüssig halten», ging es dem Priester durch den Kopf. In Europa waren die meisten Alchemisten katholische Patres und pröbelten hinter verschlossenen Türen des Klosters. Es ging den Klerikern nicht in erster Linie um die Herstellung von Gold. Sie wollten ihre Kenntnisse der Heilmittel, der Kräuter und Blumen erweitern. Die Techniken der Alchemie sollten ihnen helfen, ein viel grösseres Ziel zu erreichen: das Universalheilmittel. Eine Medizin, die alle Krankheiten für immer heilt. Bei diesen Versuchen der Transformation stiessen auch sie auf Gold.
Was geschah wirklich bei dieser Bleikocherei? Was die Mönche nicht wussten, gediegenes Blei war nie ganz rein. Ein winziger Teil war Goldstaub. Beim Erhitzen von Blei gingen beide Metalle in die flüssige Form über. Gold ist spezifisch schwerer als Blei und sank somit auf den Boden des Tiegels. Den Alchemisten war es gelungen, Blei zu reinigen. Reines Blei und reines Gold lagen getrennt vor. Von einer Umwandlung von Blei in Gold konnte keine Rede sein. In ihrer Zeit sahen die Experimentatoren das anders. Lange wurde Blei wochenlang ohne Unterbruch weiter gekocht.

Dann verwandelte sich das Weltbild.
Die Kirchenspaltung, die Theorie des heliozentrischen Weltbilds machten die Runde. Die Erde war nicht mehr der Mittelpunkt allen Geschehens. Ein seit Jahrtausenden geltender alter Glaube zerbrach. Die Aufklärung, die Renaissance, das 18. und 19. Jahrhundert veränderte die Gesellschaft von Grund auf. Kopernikus, Newton und Kant läuteten eine neue Zeit ein. Das theoretische Wissen der Natur des Mittelalters wurde total neu geschrieben, durch eine naturwissenschaftliche Revolution ersetzt. Die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Staatsführung, die Kunst und die Kultur erlebten einen Umwandlungsprozess. Warum sollte in dieser Sozietät nicht auch Blei zu Gold gemacht werden können?

Die Menschen lernten Schreiben und Rechnen. Heute ist es kaum verständlich, wie gross der Widerstand der gebildeten Elite gegen die Strömungen der Moderne war. Im Gymnasium wurde immer noch Altgriechisch und Latein studiert. An den Universitäten gab es neben der Philosophie nur noch drei weitere Fakultäten, Theologie, Medizin und Jurisprudenz.
Die Naturwissenschaften fristeten ein Schattendasein innerhalb der Philosophie. Sie blieben ein Betätigungsfeld von privaten neugierigen Einzelgängern. Lavoisier, ein Experimentator der ersten Stunde, musste sich bei seinen Arbeiten privat finanzieren. In dieser liberalen Welt nahm die Zahl der Forscher und der Erfindungen zu. Der Okkultismus der Alchemisten, der Stein der Weisen, die Herstellung von Gold, der Glaube an Wunder wurden von der neuen Generation von Forschern als suspekt abgewiesen. Sie begannen zu beobachten, zu experimentieren. Die Versuche mussten sich wiederholen lassen. Aus ihnen wurden Naturgesetze abgeleitet. So kam es zu brauchbaren Erfindungen. Das Handwerk der Physiker und Chemiker hatte das Tasten im ungewissen Dunkeln der Alchemie abgelöst. Industrien waren im Kommen.

Ganz unbrauchbar war der Nachlass der Alchemie nicht. Sie hatten ihr Wissen im «Grossen Werk» im «Opus magnum» hinterlassen. Für nicht Eingeweihte ein unentwirrbares Gemisch von unterschiedlichsten Anweisungen und Erfahrungen. Unlesbar.
Carl Gustav Jung, der Mitbegründer der Psychoanalyse, unternahm die Herkulesarbeit, das Wissen des Opus magnum herauszuschälen. Bei dieser Arbeit tauchte er immer tiefer in die Essenz der Welt der Alchemisten ein. Jung erkannte einen inneren Zusammenhang zwischen dem, was er erforschte und dem Ziel, hinter dem die Alchemisten her waren. Im Grunde waren die Träume und die Visionen, die diese Tüftler im Mittelalter hatten, genau die gleichen, welche seine Patienten hatten. Das war die Erkenntnis eines grossen Genies.
Jung begann, sein alchemisches Wissen für seine tiefenpsychologische Arbeit anzuwenden. Bei seiner Arbeit in seiner Praxis brachten seine mittelalterlichen Kenntnisse therapeutischen Erfolg. Er publizierte seine Erfahrungen am Ende des 20. Jahrhunderts.

Da stellt sich die Frage, gibt es heute noch Menschen mit einer alchemische Vita? Menschen, die mit ihren Ideen im Dunkeln tappen. Menschen, die instinktiv nach dem Unmöglichen suchen. Gibt es heute moderne Alchemisten?
Sind es jene, die wissen wollen, was vor dem Urknall war? Sind es jene, die mehr über das Leben auf dem Planeten wissen möchten? Sind es die Adepten von Albert Einstein, die sich mit der Raumzeit und den Higgs Teilchen herumschlagen? Oder sind es namenlose Unbekannte, die nach der Suche von Fremdem ihren Weg suchen?

Ein interessanter Gedanke, finden Sie nicht auch, liebe Leserin, lieber Leser? Geben Sie mir weitere 200 Jahre, dann sehen wir weiter.

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Alchimie

Ce titre ne vous évoque-t-il pas, chère lectrice, cher lecteur, un sous-sol lugubre dans lequel des individus vêtus de noir sont assis autour d’un chaudron gargouillant? Le Moyen Âge sombrissime? Des types essaient de transformer du plomb en or. L’alchimie a des relents d’occultisme.
Après tout, toutes les grandes civilisations, les Égyptiens, les Chinois, les Arabes, les Juifs, les Grecs et même les chrétiens pratiquaient la chimie antique. Ils ont tous essayé de découvrir ce qui fait la cohésion du monde.

De nombreux métaux sont présents dans la nature à l’état natif, élémentaire, pur et non lié. Les alchimistes trouvaient que le plomb, le mercure et l’or étaient particulièrement appropriés. En raison de leur point de fusion bas, ils pouvaient être facilement liquéfiés sur un feu de bois. Le plomb était le favori de ces recherches. Il a été cuit et recuit pendant des jours. Lorsqu’il s’est à nouveau solidifié, il y avait un peu d’or au fond du creuset. “Je peux transformer le plomb en or. Il suffit que je garde le plomb liquide assez longtemps dans la chaleur”, se disait le prêtre. En Europe, la plupart des alchimistes étaient des pères catholiques, qui travaillaient derrière les portes closes de leur monastère. Les clercs ne cherchaient pas en premier lieu à fabriquer de l’or. Ils voulaient élargir leurs connaissances des remèdes, des herbes et des fleurs. Les techniques de l’alchimie devaient les aider à atteindre un objectif bien plus grand: le remède universel. Un médicament qui guérirait toutes les maladies pour toujours. Lors de ces tentatives de transformation, ils ont également rencontré l’or.
Que s’est-il réellement passé lors de cette cuisson au plomb? Ce que les moines ne savaient pas, c’est que le plomb raffiné n’était jamais totalement pur. Une infime partie était de la poussière d’or. Lorsque le plomb était chauffé, les deux métaux passaient à l’état liquide. L’or étant spécifiquement plus lourd que le plomb, il tombait au fond du creuset. Les alchimistes avaient réussi à purifier le plomb. Le plomb pur et l’or pur étaient séparés. Il ne pouvait pas être question d’une transformation du plomb en or. De leur temps, les expérimentateurs voyaient les choses différemment. Pendant longtemps, le plomb a continué à être cuit pendant des semaines sans interruption.

Puis la vision du monde s’est transformée.
Le schisme de l’Eglise, la théorie de la vision héliocentrique du monde ont fait leur apparition. La Terre n’était plus le centre de tous les événements. Une croyance ancienne en vigueur depuis des millénaires s’est effondrée. Le siècle des Lumières, la Renaissance, les 18e et 19e siècles changèrent la société de fond en comble. Copernic, Newton et Kant ont inauguré une nouvelle ère. Le savoir théorique de la nature du Moyen-Âge a été totalement réécrit, remplacé par une révolution scientifique. L’économie, la société, la gouvernance, l’art et la culture ont connu un processus de transformation. Pourquoi le plomb ne pourrait-il pas être transformé en or dans cette société ?
Les gens ont appris à écrire et à calculer. Aujourd’hui, il est difficile de comprendre à quel point la résistance de l’élite cultivée aux courants de la modernité était grande. Au lycée, on étudiait encore le grec ancien et le latin. Dans les universités, il n’y avait que trois facultés en plus de la philosophie: la théologie, la médecine et la jurisprudence.
Les sciences naturelles étaient reléguées au second plan au sein de la philosophie. Elles restaient un champ d’activité pour des particuliers curieux et solitaires. Lavoisier, un expérimentateur de la première heure, devait financer ses travaux à titre privé. Dans ce monde libéral, le nombre de chercheurs et d’inventions augmentait. L’occultisme des alchimistes, la pierre philosophale, la fabrication de l’or, la croyance aux miracles furent rejetés comme suspects par la nouvelle génération de chercheurs. Ils se mirent à observer, à expérimenter. Les expériences devaient pouvoir être répétées. Des lois naturelles en ont été déduites. C’est ainsi que des inventions utilisables ont vu le jour. L’artisanat des physiciens et des chimistes avait remplacé le tâtonnement dans l’obscurité incertaine de l’alchimie. Les industries étaient en plein essor.

L’héritage de l’alchimie n’était pas totalement inutilisable. Ils avaient laissé leur savoir dans le “Grand Œuvre”, dans l'”Opus magnum”. Pour les non-initiés, un mélange inextricable d’instructions et d’expériences les plus diverses. Illisible, en somme.

Carl Gustav Jung, le cofondateur de la psychanalyse, a entrepris le travail herculéen d’extraire le savoir de l’Opus magnum. Au cours de ce travail, il s’est plongé de plus en plus profondément dans l’essence du monde des alchimistes. Jung reconnut un lien interne entre ce qu’il étudiait et l’objectif que poursuivaient les alchimistes. Au fond, les rêves et les visions que ces inventeurs du Moyen Âge avaient, étaient exactement les mêmes que ceux de ses patients. C’était la prise de conscience d’un grand génie.
Jung a commencé à appliquer ses connaissances alchimiques à son travail de psychologie des profondeurs. Lorsqu’il travaillait dans son cabinet, ses connaissances médiévales lui apportaient un succès thérapeutique. Il a publié ses expériences à la fin du 20e siècle.
La question se pose alors: existe-t-il encore aujourd’hui des personnes avec un vécu alchimique? Des personnes dont les idées restent dans l’ombre. Des gens qui cherchent instinctivement l’impossible. Existe-t-il aujourd’hui des alchimistes modernes?
Sont-ils ceux qui veulent savoir ce qui s’est passé avant le big bang? Est-ce que ce sont ceux qui veulent en savoir plus sur la vie sur la planète? Est-ce que ce sont les adeptes d’Albert Einstein qui se battent avec l’espace-temps et les particules de Higgs? Ou est-ce que ce sont des inconnus sans nom qui cherchent leur chemin après avoir cherché ce qui leur est étranger?

Une idée intéressante, ne pensez-vous pas, chère lectrice, cher lecteur? Donnez-moi encore 200 ans, et nous verrons bien.

 

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