Fledermäuse

In den ersten sechs Lebensjahren hatte ich aus Märchen Comics und Kindererzählungen einiges über Fledermäuse erfahren. In Holland lebten diese Tiere unter keinem guten Stern. Ihnen wurde kein gutes Haar gelassen. Die im Dämmerlicht des Abends herumfliegenden Mäuse kamen in den Geschichten als Boten des Ungeheuerlichen daher.

Aus heutiger Sicht kann ich das verstehen. Holland das Land der Tulpenzucht und der Windmühlen. Das Land, welches unter dem Meeresspiegel liegt und von Dünen und Deiche von der Überflutung geschützt wird. Wo Menschen Polder trockenlegen, um Lebensraum zu schaffen. Wo Wasserbauingenieure raffinierte Bauvorhaben wie die Delta-Werke in Zeeland entwickelten. Das Land der grossen Seefahrer im Mittelalter und der Berühmtheiten wie Rembrandt, Franz Hals, Jan Steen und van Gogh, welche Massstäbe in der Kunstmalerei setzten. Dass in diesem Palmares die Fledermaus keine Bedeutung hatte, um besonders geliebt zu werden, kann ich heute verstehen.
Als wir während des zweiten Weltkrieges in Leuk-Stadt wohnten, bekam ich diese unauffällige Wesen aus dem Tierreich zum ersten Mal lebend zu Gesicht. Oft war ich im Kirchenturm anzutreffen und half dem Sigrist beim Glockenläuten. Dort hingen sie artig aufgereiht wie Brotsäcken und schliefen kopfüber hängend. Mit dem Kopf nach unten schlafen zu können kam mir seltsam vor. Da läuft einem doch alles Blut in den Schädel. Etwa dreissig an der Zahl waren es. Für mich lebten sie in einer verkehrten Welt. Sie schlafen am Tag, wenn alle Welt emsigen Tätigkeiten nachgeht. Das ständige Glockengeläute der Turmuhr schien ihrem Nickerchen keinen Abbruch zu tun. Nachts gehen sie auf die Jagd.
Viel Gutes war auch in Leuk über diese Tiere nicht zu hören. Es handle sich um dämonische, teuflische Wesen, hiess es. Der Satan selbst hatte sogar die gleichen Flügel wie die Fledermäuse. Die Flattertiere verwickelten sich oft in den Haaren von jungen Frauen. In Leuk liebte man solche abergläubische Erzählungen. Geschichten, die von den Älteren noch mit Gruseltaten aller Art ausgeschmückt wurden. Die grossen Buben brüsteten sich gerne damit, um den Mädchen zu imponieren und den Kleinen in Angst und Bange zu versetzen.
Abends beim Einnachten liebte ich es, auf der Terrasse sitzend dem Auftritt dieser besonderen Lebewesen zu beobachten. Ihnen gehörte der Himmel, das war mir klar. Ihr Element war die Luft und der Flug. Sie flogen mit hoher Geschwindigkeit zick-zack durch die Lüfte und ernährten sich im Flug von Insekten. Stechmücken wurden verspeist. Das ist eine gute Nachricht. Jedes Mal ein plagender Blutsäuger weniger. Sie waren doch keine böse Biester, diese kleine Flieger. Sie taten niemanden etwas zu Leide. Im Gegenteil, sie waren sehr nützlich mit ihrem Reduzieren der lästigen Insekten. Die Fledermäuse werden zu Unrecht so schlecht beleumundet, fand ich.

 

In der Biologie an der Kanti in Luzern wurde meine Sympathie für die fliegenden Mäuse weiter ausgebaut. Sie sind die einzigen Säugetiere die aktiv fliegen können. Allerhand. Sie sind auch die kleinsten aller Säugetiere. Wer hätte das gewusst? Es gibt keine kleinere.

Es kommt noch besser! Ein Drittel aller hiesigen Säugetiere sind Fledertiere, Flughunde und Fledermäuse. Bei uns leben etwa dreissig verschiedene Arten. Im Flug orientieren sie sich mit Biosonar. Eine Echoortung im Ultraschallbereich. Jedes Mäuschen hat sein eigenes Radar. Pro Flug vertilgen sie zwischen 800 bis 1000 Insekten.
Wie kommt es, dass wir so wenig über diese nützliche Tierart wissen? Sie sind nachtaktiv und schlafen am Tag an einem Balken hängend den Kopf nach unten. Ihre Flugbahn unterscheidet sich deutlich von jene der Vögel. Mit hoher Geschwindigkeit ziehen sie scheinbar ziellos ihre Bahn. Alles etwas ungewohnt. Okkulte Stories über blutsaugende Vampire schicken sie total in die Verbannung. Und geben ihnen den Rest.
Auch heute taucht am Abendhimmel bei mir zu Hause eine kleine nach Beute jagende Fledermaus auf. Freundlich sehe ich ihr zu und fliege in Gedanken mit. Für mich ist sie ein Symbol geworden. Ein Sinnbild für falsches Wissen. Für Unwissen, welches aus falschen Beobachtungen zusammengeschustert wurde und ein ungebührliches Scheinwissen entwickelte. Ähnlich, wie im Mittelalter unsere Mutter Erde als ebene Platte und nicht als Kugel wahrgenommen wurde. Nicht überprüfte scheinbare Tatsachen die, je mehr man sie weiter gibt immer mehr wahr werden.

Fledermäuse leben in grosse Gruppen. Sie sind hochsoziale Wesen. Ein solches Lebewesen welches uns, wenn wir schlafen, die Mücken vom Leibe hält und uns einen angenehmen Traum ermöglicht, sollte doch geliebt und nicht geächtet werden. Ein Flugtier welches die Nacht zum Tage macht. Welches sich am Tag diskret in den Glockenturm zurückzieht. So ein Lebewesen kann doch kein Dämon sein. Höchste Zeit ihm eine bessere Nachrede zu halten.

 

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Ein Gedanke zu „Fledermäuse“

  1. Lieber Hans

    Hab’ tausend Dank für Deinen superinteressanten Blog über Fledermäuse! Seitdem ich erfahren habe
    wieviel Insekten sie wärend dem Flug verspeisen, schätze ich sie noch mehr. Ohne ihre Hilfe wären
    wir Nacht um Nacht ein Opfer der Mücken. Sie stechen, trotz der fleissigen Fledermäuse, immer noch
    viel zu oft zu.
    Und, mit dem hätte ich anfangen sollen: Ich war so erleichtert, als Dein Blog eintraf, weil ich mir Sorgen um Dich machte: Letzten Monat kam nämlich kein Blog von Dir. Ich dachte schon Du seist krank, dabei hast Du vielleicht nur eine kurze Sommerpause eingeschaltet. Ich bin so froh, dass es Dir gut geht und zusammen mit Hans grüssen wir Dich herzlich, Ági

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