Es liegt schon ein paar Jahre zurück. Ein Erlebnis, das sich tief in mein Gedächtnis eingegraben hat. Die Luzerner Fasnacht holt es jährlich hervor. Dabei hat es mit dem Narrentreiben nichts zu tun. Dennoch spielen der Güdisdienstag und der Aschermittwoch dabei eine Rolle.
Es war in der Zeit des Vorfrühlings. Die Zeit, wenn der Winter sich zurückzieht. Die ersten hellgrünen Blättchen sich aus den kahlen Sträuchern hervorwagen. In der Zeit, wo die Treuhandbüros Hochsaison haben. Die Jahresabschlüsse der grossen Firmen vorgestellt werden. Solche Anlässe kamen nie ohne einen Apéro-riche oder gar einem Abendessen mit Kunden und Journalisten aus. So traf es sich, dass ich mit Art Furrer, dem bedeutendsten Hotelier des Wallis, zu sitzen kam. Zwei Walliser, die sich kannten und bald in breitestem Walliserdialekt tief im Gespräch versunken waren. Mir fiel auf, dass mein Gesprächspartner Wasser trank. Das passte nicht ins Bild. Ihn darauf angesprochen, erhielt ich eine Lektion, die grüblerisch machte. «Es ist Fastenzeit! Ein uralter, sehr sinnvoller Brauch, der uns zwingt zu verzichten, Mässigkeit zu pflegen. In den sechs Wochen bis Ostern nehme ich keinen Tropfen von alkoholischen Getränken zu mir”.
Ein Jahr später beschloss ich, in der Fastenzeit jeglichen Genuss von Alkohol bleiben zu lassen. Es ging darum, auf drei Fragen eine Antwort zu bekommen.
Halte ich es aus, anderthalb Monate ohne einen Schluck Alkohol? Stimmt es, dass man bei Abstinenz von alkoholischen Tranksamen an Körpergewicht verliert? Und was werden die Menschen um mich herum wohl denken, wohl sagen, wenn sie auf mein Fastenopfer aufmerksam werden?
So begann ich, still und heimlich die Zeit ab Aschermittwoch ohne Wein und Bier in Angriff zu nehmen. Am Ostersamstag war es so weit. Ich konnte Bilanz ziehen. Das Ergebnis war im wahrsten Sinn des Wortes ernüchternd. Trocken habe ich mich über die Fastenzeit gerettet. Bei jedem Anlass, an dem man mir ein Glas Weisswein anbot, habe ich es freundlich dankend entgegengenommen. Mit allen um mich herum angestossen. Darnach das immer noch volle Glas möglichst unbemerkt stehen gelassen. Kein Mensch hatte von meiner Fastenkur das geringste mitbekommen. Das Ergebnis der vermeintlichen Gewichtsabnahme war ähnlich unspektakulär. Kein Gramm abgenommen. Kein Gramm zugenommen. Der dritte Befund vom Entzug der Droge hatte sich auch nicht so eingestellt, wie ich es erwartet hatte. Ich habe während der ganzen Zeit nicht gemerkt, dass etwas fehlte.
Das war enttäuschend. Ich wäre so gerne diszipliniert gewesen. Jeder Versuchung widerstanden. Ich konnte mir gar nicht beweisen, was für einen starken Willen ich habe. Kein unbändiges Verlangen meldete sich. Auf einmal war Ostern, und ich hatte nicht einmal die grosse Begierde nach einem Glas Wein. Ein gutes Zeichen, wenn man es genau nimmt. Nicht die geringste Spur von Sucht. Art Furrer hatte recht. Ab und zu eine liebgewordene Gewohnheit ändern, hat körperlich etwas Gutes an sich. Auch der Geist hatte auf die neue Lage reagiert. 40 Tage trocken. Im Kopf löste die Übung eine besondere Betrachtung aus. Solche Exerzitien haben einen Sinn.
Je länger ich über Art Furrers Statement nachdenke, umso tiefer verankert sich seine Botschaft in meinem Erinnern. Warum ist die Enthaltung von Speisen und Genussmitteln so aktuell? Freunde von mir legen sich gleich nach der Neujahrsfeier für den ganzen Januar trocken. Andere verzichten auf den Verzehr von Fleisch. Nahezu in allen Hochkulturen ist Fasten anzutreffen.
Wer kennt nicht den Ramadan beim Islam und die Fastenkulturen im Alten Testament. Fasten ist weit mehr als eine religiöse Praxis. Man weiss auch, dass Fasten die Wahrnehmung fördert und die Willenskraft stärkt. Es soll sogar den Alterungsprozess bei uns Menschen verzögern. Im Mittelalter war es eine Kasteiung. Heute, so glaube ich, geht es in der modernen Welt um die Kraft der freiwilligen Entbehrung. Um im Alltag den Geist frei zu haben. Zeit zu haben, dem täglichen Trott zu entfliehen. Freiwillige Entsagung. Eine Woche kein Fernsehen. Zwei Wochen ohne Handy.
So wird Fasten zu einem Gestaltungselement des unabhängigen und gesunden Lebens. Neu ist es nicht. Der berühmte griechische Arzt des Altertums, Hippokrates, empfahl das Heilfasten zur Gesunderhaltung des Körpers. Das ist das Zentrale. Es geht um die Gesunderhaltung von Körper und Geist. Dazu gibt es eine Menge von wirksamen Möglichkeiten. Eine davon ist das Fasten.
Dabei lässt sich ein Trend erkennen. Die Tendenz, alte medizinische oder religiöse Traditionen neu zu entdecken. Das Streben nach Konzentration, nach Erleuchtung und Erlösung, anzukurbeln.
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