Wer am Freitagabend von Zürich nach Bern auf der Autobahn unterwegs ist, empfindet für den Individualverkehr keine Liebeserklärung. Von Kilometer zu Kilometer steigt die Nervosität, steigt die Abneigung. Das Auto wird zur Last, für dem man nur noch negative Gefühle hegt. Es hat zu viele Autos. Das führt zu riesigen Staus. Die Autobahn wird zu einem Parkplatz. Man kommt nicht vom Fleck. Die Autos verstopfen alle Strassen. Darüber hinaus verpesten sie die Luft. Sie stellen eine Gefahr für Leib und Leben dar. Hier muss jemand Abhilfe schaffen!
Gemach! Gemach! Da kommt mir ein Bericht, der vor 140 Jahren geschrieben wurde, aus dem Jahr 1875, in den Sinn. Darin geht es um den Pferdedroschkenverkehr in den grossen Städten wie London, New York, San Franzisco oder Paris. Wir hatten immer den Eindruck, die Heu- und Haferfresser seien besonders ökologisch. Völlig falsch. Der Bestand von Pferden belief sich auf mehr als 50’000 pro Stadt. In NewYork waren es vor 120 Jahren 120’000 Rosse. Über 130 Tonnen Pferdemist mussten täglich entsorgt werden. Wohin damit? So viel Rosendünger konnte kein Garten verkraften. Ganz zu schweigen vom Urin, tausende von Litern täglich. Eine verheerende Verschmutzung und ein höllischer Gestank in den Strassen. Die Chaussee war glitschig. Mensch und Tier stürzten und verletzten sich oft. Tote Pferde schufen in jeder Stadt grosse Probleme. In Chicago mussten jährlich 15’000 Kadaver weggeschafft werden. Paris vermeldete im 19. Jahrhundert 700 Tote und 5’000 Verletzte pro Jahr, verursacht von Unfällen mit Pferdefuhrwerken. Das Parkieren von Pferdekarren brauchte viel Platz. Mindestens zwei mal fünf Meter. Des Weiteren brauchte es Ställe und Futter für die Tiere, Stallknechte und Remisen für die Kutschen. Auch wenn die Tiere nicht gebraucht wurden, mussten sie gepflegt und gefüttert werden. Die Kosten und die Probleme des Pferdeverkehrs waren so enorm, dass die Erfindung und das Aufkommen des Automobils als unschätzbarer Fortschritt zum Heil und Gedeihen der Städte und Bürger begrüsst wurde.
Die Vorteile waren unverkennbar. Saubere Strassen durch das Ausfallen von Kot und Urin. Bloss Benzin statt Hafer, Heu und Stroh. Garage ersetzten die Remisen. Das Auto war auf einem weit kleineren Raum verstaubar. Kein zusätzliches Personal war mehr nötig. Henry Ford hatte ein Wunder des technischen Fortschritts geschaffen.
Und heute? Eine ähnliche Situation. Wir brauchen einen neuen Henry Ford. Das Auto muss, ähnlich wie damals die Pferdedroschke, abgelöst werden. Es liegt bereits eine neue Ära des persönlichen Transports in der Luft:
Der vollautomatisierte Individualverkehr, das autonome Auto. Ein Traum. Niemand sitzt mehr am Lenkrad. Das Auto findet seinen Weg selbst. Die Zeit, die man im Auto verbringt, kann für etwas Nützliches verwendet werden. Autofahren wird ähnlich wie das Zugfahren. Man reist und kann gleichzeitig essen, telefonieren, mailen, die Post erledigen, sich elektrisch rasieren, lesen oder sogar schlafen und natürlich arbeiten. Das automatische Auto wird zu einem zweiten Zuhause. Dort kann man fast alles tun was Zuhause auch möglich ist. In dem Gefährt der Zukunft spielt die Dauer des Transports eine untergeordnete Rolle. Die Länge des Arbeitsweges, damit ebenso. Autofahren ist kein Zeitverlust mehr.
So weit, so schön! Das ist Zukunftsmusik. Immerhin eine realistische Musik. Klar, das automatische Auto ist noch weit von der Marktreife entfernt. Doch das autonome Auto wird höchstwahrscheinlich kommen. Wann? Das steht noch in den Sternen. Zu viele Hürden sind noch zu überwinden. Sehr viele Fragen müssen noch geklärt werden. Ganz bestimmt geht es hier um einen Massenbetrieb. Diese Technik muss mit Millionen von Autos funktionieren. Wie werden die Fahrzeuge unter einander kommunizieren? Wie mit den Fussgängern? Wie mit den Verkehrssignalen? Wie mit Bauabschrankungen? Voraussetzung für die Kommunikationstechnik sind sehr kurze Reaktionszeiten und der Umgang mit riesigen Datenmengen. Das Navigationssystem muss sehr genau sein. Die Sicherheit des Bordcomputers spielt eine grosse Rolle. Was passiert, wenn das Mobilfunknetz ausfällt? Was bei einem Hackerangriff? An die Informatik werden höchste Ansprüche gestellt. Wahrscheinlich wird es mehr Verkehr geben. Es wird viele leer zirkulierende Fahrzeuge geben. Um den Benutzer abzuholen. Um selbstständig zurück in die Garage zu fahren. Um Kinder alleine in die Schule zu fahren. Um die Bestellungen im Supermarkt abzuholen. Und dann noch eines. Wie werden sich konventionell gelenkte und die automatisch handelnden Autos während einer sehr langen Übergangsfrist den gleichen Strassenraum teilen?
Trotzdem, wenn die Autos dereinst selbstständig fahren wird die Welt sich verändern. Das Auto wird neben Haus und Arbeitsplatz, zur dritten Lebensumgebung! Das ist so reizvoll, dass es verständlich ist, heute darüber zu phantasieren um morgen davon zu profitieren.
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