Neujahr

Zeitungen spielen in meinem Leben eine grosse Rolle. Was mich interessiert, sind nicht die News, sondern die Hintergrundinformationen und die Kommentare. In letzter Zeit werde ich von Krieg, Mord, Vergewaltigung, Attentate, Überfälle und Bombardemente überschüttet. Gibt es dann nichts Erfreuliches in dieser Welt mehr?
Als ich noch ein kleiner Junge war und in Holland lebte, war ich Zeuge von all dem, was heute die Blätter füllt. Es war Krieg. Sichtbarer Krieg mit echten Soldaten und echten Panzerfahrzeugen. Holland war von den Deutschen erobert und besetzt worden. Alle Bürger erlebten die Not der Unterdrückung. Zerstörte Gebäuden, Deportationen von jungen Männern, Schwarzhandel, Hunger und Angst. Nicht vergessen habe ich, mit welchem Galgenhumor die Bevölkerung diese Schmach und diese Tortur wegsteckte. Man wollte nicht bemitleidet sein und tröstete sich mit politischen Witze, mit fröhlichen Nachrichten über den Schwarzmarkt und über die Herstellung eines Mittagessens aus Tulpenzwiebeln. Plötzlich gehörten wir alle zusammen. Waren eine verschworene Gesellschaft gegen den gemeinsamen Feind, gegen die Deutschen. Auf einmal war gegenseitige Hilfe nicht nur selbstverständlich, sondern Gebot. Die schönen Seiten des Lebens liess man sich nicht nehmen. Kein Fest wurde ausgelassen, wenn auch in sehr bescheidenem Rahmen gefeiert. Mit Wasser wurde angestossen. Trockenes Brot wurde gegessen als wäre es Kuchen. Die freie Natur gewann enorm an Bedeutung. Ein Spaziergang am Strand der Nordsee, barfuss durchs Wasser waten und anschliessend durch die Dünen radeln. Immer wachsam, der Besatzungsmacht und ihren Schergen, aus dem Weg gehen. Das waren die Kleinigkeiten, die das Leben zur Freude machten. Das wurde so oft wie möglich kultiviert. Das war das Überlebenselixier um die schlimme Zeit zu meistern. Zu überleben. Zusammenstehen, zusammenhalten, keine Gelegenheit auslassen, sich zu freuen: Zusammen das Bisschen Schöne suchen und es zur Freude des Tages machen.
Heute ist die Welt bei uns aus den Fugen geraten. In dieser Welt von Terror, Morden und Angst war ich lange auf der Suche nach einem positiven Thema für meine Neujahrsbotschaft. Monate lang habe ich mir den Kopf zerbrochen. Am letzten sommerlichen Tag dieses schönen Herbstes dann, stand ich, ohne es zu realisieren, mitten drin. Ein Freund aus meiner Schulzeit in Luzern, mit dem ich immer noch engen Kontakt pflege, hatte mich eingeladen, mit ihm auf die Tannenbodenalp zu fahren. Prächtiges Wetter herrschte. Stahlblauer Himmel an diesem ersten Donnerstag im Dezember und vis-à-vis das Bergmassiv der Appenzeller-Alpen, die Churfirsten. Es war der letzte Sommertag in diesem Jahr. Die Sonne stand tief und beleuchtete das Gebirge in einer besonderen Art. Die Kalksteinerhebungen und ihre Faltungen wurden durch die Sonnenbestrahlung majestätisch hervorgehoben. Der Anblick ist einmalig schön. Da packt einem die Ehrfurcht vor dem Schönen. Wir leben wirklich in einem schönen Land. Vergessen wir das nicht.
Das Jahr 2015 brachte uns viele Sorgen. Was passiert mit Europa? Wird es überhaupt noch regiert? Wie können wir den vielen Flüchtlingen helfen? Tief betroffen, bestürzt wütend gar, sind wir, wenn wir machtlos den Terrorakten in Paris, Frankreichs Hauptstadt, zuschauen müssen. Werden die Terrorakte auch unser Land auch einmal heimsuchen? Die Angst geht um. Alle diese schlechten Nachrichten könnten uns den Mut verlieren machen.
Auch diese Krise wird vorbei gehen.
Zurück zu den Churfirsten. Sie sind in der Würmzeit entstanden. Was heisst, das sie gut und gerne 100‘000 Jahre alt sind. Immer sind sie noch da. Ein Symbol dafür, dass sie die ganze Entwicklung unserer Gesellschaft erlebt und überlebt haben. Das soll uns Zuversicht geben. Unseren Wohlstand haben wir uns in den letzten 70 Jahren erarbeitet. Hand aufs Herz, was sind 70 Jahren verglichen mit dem Alter der Berge am Walensee?
Weit davon entfernt, die traurigen Ereignisse nicht ernst zu nehmen. Die alten Berge sollen uns daran erinnern, in grösseren Zeiträumen zu denken. Vor allem sollten wir versuchen hinter die Kulissen zu schauen. Einsehen, dass die Informationslawine der schlechten Nachrichten vieles verdeckt. Die Leute im Krieg und auf der Flucht haben genau so eine Überlebensstrategie, wie ich es während des Zweiten Weltkrieges in Holland erlebte.
Und hier? Ganz im Gegensatz zu damals in Holland, lassen wir uns durch ein Dauergejammer in Angst und Furcht jagen. Angst etwas von unserem Hab und Gut zu verlieren. Hab und Gut haben heute einen selten hohen Stellenwert erklommen. Die Tatsache, nur das Geringste zu verlieren, versetzt uns in Panik!
Etwas mehr Abstand bitte, etwas mehr Gelassenheit! Natürlich müssen wir den vom Terror betroffenen Mitmenschen versuchen Hilfe zukommen zu lassen. Ihnen zu helfen in ihrem Schicksal. Freuen dürfen wir uns trotzdem über das Glück, das uns der Wohlstand ermöglichte. Dankbar sollten wir dafür sein. Die Schönheiten der Natur geniessen. Freuen sollten wir uns, statt zu jammern. Freuen über einen schönen Spaziergang durch Luzern.
Freuen über einen schönen Tennismatch zwischen Ferderer und Wawrinka.
Freuen über den öffentlichen Verkehr in unserem Land, der uns pünktlich dorthinbringet, wo wir hin wollen.
Freuen über den Wochenmarkt, der uns mit all den Kostbarkeiten der Gastronomie bedient.
Freuen darüber, dass wir frei und ungebunden in einem schönen Land Tun und Lassen können was wir wollen. Allerdings nur soweit, als wir die Freiheit unseres Nächsten nicht einschränken.
Bescheiden bleiben sollten wir darüber hinaus. Uns nicht zu viel einbilden über den Schatz unserer Privilegien.
Zusammenstehen und die Augenblicke, die uns Freude machen erkennen und geniessen. Denen die es nicht so gut geht auf unserem Planeten angemessen hilfreich sein.
Das wünsche ich allen, die diese Kolumne lesen.
Beste Wünsche für ein gutes Neues Jahr!

Bliibud gsund und nämeds nit zschwär!

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