Sie kennen das, liebe Leserin. Vor Ihnen liegt ein leeres Blatt Schreibpapier. Gleissend weiss starrt es Sie an. Sie sollten einen Dankesbrief, eine Kondolenz oder einen Bericht verfassen. Ihnen fällt nicht das richtige Wort ein. Jeder Gedanke wird verworfen. Zu langweilig, zu kitschig, bloss eine Worthülse. Nichts geht. Das Blatt bleibt leer. Auf dem Notizbock daneben mehren sich Strichmännchen und Kritzeleien. Auch Sie, lieber Leser, haben das schon erlebt. Der erste Satz will nicht gelingen. Vor ihnen werden Sie immer noch vom gähnenden Vakuum hypnotisiert. Das nervt.
Genau so geht es mir heute! Dass auch Jack London solche Staus hatte, tröstet mich wenig. Es ist kein Stau. Es stehen keine Autos im Wege. Der Tank ist voll, der Akku geladen. Es ist der Anlasser. Der Motor lässt sich nicht starten. Kein Kontakt. Immer noch die Plage eines unbeschriebenen Papiers. So geht das nicht. Ich brauche einen Kaffee. Es ist kein Stau, es ist eine Blockade.
Zwei Tage später.
Wieder sitze ich am Schreibtisch vor meinem Gespenst, dem Blatt. Noch kein Buchstabe hat sich darauf verirrt. Spöttisch aggressiv starrt es mich an. Dann passiert es. Weg sind alle Bedenken. Weg der ganze psychische Terror. Sanft und liebevoll umschmeichelt es mich: «Schreib mich voll!» Unbemerkt verstreicht die Zeit. Meine Feder übereilt sich. Pegasus, das geflügelte Pferd des Meeresgottes Poseidon, das Dichterross entführt mich. Alles läuft wie geschmiert.
Warum ist dem so? Warum kam es zu diesem Phänomen, nicht in der Lage zu sein schreiben zu können? Die Ideen blieben weg. Es war nicht mein Tag. Ich hatte keine Lust. Vorgestern war nur schon der Gedanke etwas zu schreiben: eine Qual. Der Kaffee hatte gutgetan. Noch besser getan hat mir das Nichtstun in diesen Tagen. Gar nichts tun. Einfach in den Tag hineingelebt. Alltäglichkeiten erledigt. Den Schreibstau verdrängt. Da gesessen bin ich und habe den Gedanken freien Lauf gelassen. Der Tank war eben doch leer. Durch nichts tun hat er sich von selbst wieder aufgefüllt. Weg war die Blockade.
Als ich noch ein kleiner Junge war, musste ich oft hören: «Müssiggang ist aller Laster Anfang.» In der Umgangssprache besitzt der Müssiggang eine negative Konnotation. In der Regel meint man Faulheit damit. In der christlichen Theologie zählt Trägheit sogar zu den sieben Hauptlastern.
Ich finde «Nichts tun ist Dünger für den Geist.» Und Sören Kierkegaard meinte: «An sich ist Müssiggang nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.»
Hurra, ich kann wieder schreiben. Jetzt vom neuen Schwung Gebrauch machen. Jetzt das Feuer ausnützen. Sofort die herbeifliegenden Gedanken festhalten:
Jetzt kommt der geplante Blog!
Kleinigkeiten
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben so richtig schön machen.
Ein weiches Ei zum Frühstück.
Ein doppelter Regenbogen am Firmament.
Der Besuch der Katze des Nachbarn.
Ein lieber Kuss.
Eine reife Birne im Baumgarten stibitzen.
Das Lachen einer Enkelin.
Ein guter Gedanke, der weiterführt.
Der Gesang einer Amsel.
Ein vierblättriges Kleeblatt im Rasen.
Ein freundlicher Gruss auf dem Heimweg.
Die kleinen Dinge sind Vitamine für die Seele. Seit jüngsten Jahren begleiten mich diese Feinheiten. Mein ganzes Leben habe ich diese vitalen Notwendigkeiten für mich gewürdigt. Allerdings ohne, dass ich ihnen grosse Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Eher wie man beim Essen Vitamine zu sich nimmt, ohne viel über die Bedeutung ihres Wirkens nachzudenken. Die Bedürfnisse der Seele bleiben, wenig sichtbar, im Hintergrund. Für unser Wohlbefinden wirken da zwei Beteiligte, der Geist und der Körper. Jeder will seinen Anteil. Beide brauchen Nahrung. Der Körper die Lebensmittel. Der Geist die kleinen Dinge. Bei diesem Wettbewerb ist der Körper im Vorteil. Wenn ihm an Nahrung fehlt, meldet er Hunger. Der Geist hingegen macht sich nicht so unmissverständlich bemerkbar. Wenn ihm etwas mangelt, meldet er sich – zum Beispiel – mit schlechter Laune. Bei diesem Zusammenspiel von Energie und Gemüt spielt der Geist die führende Rolle. Er ist es, der das Ganze steuert. in der Regel sorgt er dafür, bei Laune zu bleiben. Das gelingt nicht immer. Die üble Laune geht auf den Körper über. Aber wer ist schon gerne mieser Laune? Wer liebt es schon, an Schreibstau zu leiden?
Wenn es seelisch ungemütlich wird, gibt es eine gute Medizin.
Bediene Dich der kleinen Dinge.
Koche Dir ein weiches Ei
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