Achtundachtzig

Heute an meinem Achtundachtzigsten wage ich einen Boxenstopp. Einen Blick zurück. Antwort auf die Frage: «Wie hast Du es fertiggebracht, dieses Alter in Zufriedenheit und unter einem guten Stern zu erreichen?» Vorab sei gesagt, es waren wertvolle, schöne Jahre.

88 Jahre; ein attraktives, erfülltes Leben bis jetzt. Zeit, ein wenig darüber nachzudenken. Mein Leben entspricht nicht der Norm. Es ist nicht das Leben jener Person, die an einem Ort geboren wird, dort die Schule besucht, eine Familie gründet und immer noch am gleichen Ort in Rente geht. Mein Leben war nicht das eines Sesshaften. Ständiger Ortswechsel von Umzug zu Umzug, so wurde ich geprägt. In Den Haag sechsmal ein und aus, den Krieg dort in seiner ganzen Heftigkeit erlebt. Dann in Deutschland bei Tante Emma. Im Wallis bei Grand’maman. Es folgten Fribourg, Luzern, Basel, Zürich. Studium am Poly. Wieder Basel, ferner Glattbrugg, Gossau, Paris, Küsnacht. Jetzt endlich Gossau-ZH für immer!

Ich sitze hier im Garten. Ein genussvoller Sommertag. «Wie kam es zu diesem wunderbar bewegten Leben?» Es gab keinen Plan. Es lief ungesteuert von Scheideweg zu Scheideweg. Bei den Wegweisern wurde aus dem Bauch heraus die zutreffende Richtung gewählt. Mit der Zeit nahm dieses Vorgehen Struktur an. Mein Leben wurde organisierter. Ich begann zu verstehen, was es für eine sinnvolle Zukunft braucht. Meine Talente und Begabungen lernte ich mit der Zeit immer besser kennen. Sie wurden klarer, präziser. Langsam lernte ich, wie ich mein Dasein ausrichten konnte. Meine Arbeit und meine Familie gefielen mir von Tag zu Tag besser. Das war die Zeit als sich meine Menschenkenntnis entwickelte. Ich wurde ein echter Profi in der Organisation von komplexen Unternehmungen. Mit vielen verschiedenen, anders gearteten Menschen hatte ich zu tun.
Eine zweite Maxime, «Unternehmensführung ist Menschenführung», prägte mein Berufsleben. Nicht nur das Berufsleben – auch im Privatleben gilt: es geht immer um Menschen, mit Menschen. Mit Frau und Kindern, mit den Nachbarn, mit den Mitarbeitern und ihren Angehörigen, mit Lieferanten, Konkurrenten, Geldgebern und mit den Aktionären. Immer mit Menschen.
Vieles ist in der Zusammenarbeit mit ihnen gelungen, vieles ist danebengegangen.
Sie hinterliessen nicht nur für mich, sondern oft für alle Beteiligten schmerzende Blessuren. Wenn etwas schief geht, geht vieles kaputt und tut weh.Das Leben ist nicht konfliktfrei. Mein Leben war von einer gefährlichen Unbekümmertheit begleitet. Im Rückblick könnte ich von einer grossen Zahl von Schicksalsschlägen, Flops und Misserfolgen berichten.
Wenn ich einmal vor dem Trümmerhaufen einer Karambolage stand, gab es nur einen Reflex, aufräumen. Die Wunden lecken. Platz schaffen, weiter machen und diesmal besser.
Stets habe ich gewusst und ich weiss es heute noch, wo meine Kompetenzen ihre Grenzen haben. Ohne  überheblich zu werden, hat mir das ein solides Selbstverständnis gegeben.
Mit den Versuchungen des Lebens, ich meine die Gier nach Geld und Macht, wusste ich gut umzugehen. Ich liebe meinen kleinen Luxus. Immer schaffte ich mir angenehme Lebensbedingungen. Ein Beispiel: Schon als Student reiste ich mit der Bahn nur erste Klasse. Übertrieben habe ich nie. Keine teuren Autos. Ein gemütliches Haus, etwas gross, aber nicht protzig. Es kommt mir auf das tägliche Wohlergehen an.

Die heftige Aktivität des Berufslebens ist längst Vergangenheit, längst vorbei.Geblieben sind die Beziehungen zu den Menschen. Zu der Partnerin, zu den Töchtern und ihren Partnern, den Enkeln und Urenkeln, den Freunden und allen Menschen um mich herum. Schön Wohlfühlen in der Familie und unter Freunden.
Ich habe die Menschen einfach gerne.

So geniesse ich mein Dasein. Die Antworten nach dem Wieso und dem Warum des erfreulichen Lebens habe ich beieinander.
Heute ziehe ich Bilanz:

  • Ich mache mir keine Sorgen auf Vorrat. Wenn Probleme auftreten, werden sie gelöst, wenn sie da sind.
  • Nie eine Aufgabe übernehmen, die keinen Spass macht. Spass wird es immer, wenn sie zu den Talenten passt.
  • Ich glaube nicht an die Wirkung von ungebetenen Ratschlägen.
  • Akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Daraus dann das Beste machen.
  • Jetzt ist jetzt.Wie geht’s nun weiter? Ich habe starke Nerven. Ich habe keine Angst vor Überraschungen. Und ich weiss, dass mein Leben ein Ende haben wird.
    Zu meinem achtundachtzigsten Wiegenfest schaue ich auf die vielen Jahre, die ich erlebt habe, in Dankbarkeit zurück.
    Es gefällt mir immer noch auf unserem Planeten.

Hoffentlich, das wünsche ich mir, ist mir noch ein Weilchen gegeben.

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