Fälschung ?

Der Sommer 1947 war ein Ausnahmesommer. Bis Mitte September kein Tropfen Regen. Im Juli dieses Jahres wurde Henricus, Antonius «Han» van Meegeren (1887-1947) in Amsterdam den Prozess gemacht. Er war Architekt, Maler, Restaurator und Kunstmaler. Han zählte nicht zu den bedeutendsten Malern seiner Zeit. Im Gegenteil, er gilt als genialster Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts. Davon wusste vor dem Prozess kein Mensch. Er war angeklagt, als Kollaborateur mit den Nazis und als Verkäufer von nationalem Kunstgut der Niederlande Geschäfte getätigt zu haben. Damit war die Krone zu geldwerten Verlusten gekommen. Er hatte das Bild von Vermeer «Christus und die Ehebrecherin» an den Kriegsverbrecher und führendenden nationalsozialistischen Politiker Hermann Göring, für 1.7 Mio Gulden verkauft. Ein verbotener Raubkunsthandel. Ihm drohte eine saftige Zuchthausstrafe. Um seine Haut zu retten, legte er für das Gericht ein unglaubliches Geständnis ab.
„Das in Görings Hände gelangte Gemälde ist nicht, wie Sie annehmen, ein Vermeer van Delft, sondern ein van Meegeren! Ich selber habe das Bild gemalt!“ Damit hatte er eine Fälschung, aber kein Kulturgut verkauft. Die Kollaborationsbeschuldigung wurde fallen gelassen. Der Prozess eingestellt. Der Staatsanwalt eröffnete gleich im Anschluss eine neue Klage wegen Betrug und Fälschung. Han van Meegeren stand wieder vor den Richtern. Er wurde zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Strafverfolgungsbehörde konnte die Strafe nicht vollstrecken. Han starb an einem Herzinfarkt, bevor die Einsprachefrist abgelaufen war.

Mir – damals ein vierzehnjähriger Kantonsschüler in Luzern – wäre diese Meldung nie zu Ohren gekommen, gäbe es da nicht die berühmte Kunstgalerie Fischer in der Nähe der Hofkirche an der Haldenstrasse. Viele wertvolle Originale der darstellenden Kunst wurden dort gehandelt. Zu der Zeit hing dort ein prestigeträchtiges Gemälde von Jan Vermeer van Delft (1632-1675). Vermeer ist einer der bekanntesten holländischen Maler des Barocks. Er wirkte in der Epoche des Goldenen Zeitalters der Niederlande.

Der Angeklagte hatte in seiner Karriere als Fälscher viele Bilder wichtiger Maler dieses Zeitabschnitts auf den Markt gebracht und gut damit verdient. Auf der Prozessliste der Fälschungen figurierte auch «Die Kartenspieler», jener Vermeer, der bei Fischer im Geschäft hing. Die Nachricht aus Amsterdam schlug in Luzern ein wie eine Bombe. Eine Katastrophe für das Handelshaus Fischer. Auf einmal war das Aushängeschild der Firma nur noch ein paar Franken wert. Für die Leuchtenstadt jedoch die beste Touristikwerbung. Luzern, plötzlich das Zentrum des internationalen Kunsthandels. Um Schlagzeilen brauchte sie sich nicht zu kümmern.

Ich wurde zur Gründungszeit der NSDAP in Den Haag geboren. Einen grossen Teil des Terrorregimes in den Niederlanden im zweiten Weltkrieg hatte ich am eigenen Leib erfahren. Diese pikante Story aus meinem Geburtsland weckte mein Interesse. Ich begann alles, was darüber publiziert wurde, zu studieren. Ich empfand eine gewisse Sympathie für diesen gerissenen Gauner. Er war in meinen Augen nicht nur ein guter Maler, er verstand es auch, während Jahrzehnten die Gilde der Kunstexperten hinters Licht zu führen. Beim Studium dieser Berichte tauchte immer wieder eine Frage auf. Bis heute habe ich darauf noch keine Antwort.

Angenommen, wir hätten in unserem Wohnzimmer ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Natürlich nicht eines der berühmten Stücke, die in jedem Buch über Kunstgeschichte abgebildet sind. Ein schönes Bild, 40 x 21 cm gross. Eine Stadtansicht von Delft aus der Hand von Pieter de Hoog (1629-1684). Eines der wenig bekannten Werke dieses berühmten Meisters. Eine gute Arbeit mit einer starken Ausstrahlung. Ein Bild, welches, wenn man es wieder einmal genauer anschaute, Neues, noch nicht Erkanntes von sich gab. Die Uhr auf dem Kirchturm. Der wachthabende Soldat vor dem Stadttor. Oder der neblige Rauch aus einem fernen Kamin. Ein Bild, das gefällt. Ein Bild, das still mit dem Betrachter spricht.
Dann, wie aus heiterem Himmel. Aus dem Nichts die Hiobsbotschaft. Es ist eine Fälschung von van Meegeren. Es ist gar kein de Hoog! Wir besitzen kein Original von Pieter de Hoog. Ist das Bild deswegen auf einmal weniger aussagekräftig? Ist seine Seele abhandengekommen? Nur, weil es auf dem Kunstmarkt seinen Wert verloren hat? Es ist immer noch ein schönes Ölgemälde, welches von einem guten Maler, einem Fälscher zwar, hergestellt wurde. Lange Zeit hat es uns viel Freude bei der Betrachtung bereitet. Geht es bei der darstellenden Kunst um Geld oder um Kunst?

Ab und zu tut mir Vincent van Gogh heute noch leid. Zu Lebzeiten konnte er kaum von seiner Kunst leben. Vor ein paar Monaten wechselte bei Christies in New York ein Bild von ihm für 35 Millionen Doller den Besitzer. Es war ein mit Wasserfarbe auf Papier gemaltes Stimmungsbild aus Arles (F) «Meules de blé». Vincent konnte damals sein Bild nicht verkaufen. Heute bezahlt jemand einen Preis dafür, mit dem man auch ein mittleres Industrieunternehmen kaufen könnte.
Wird die Aussage eines Kunstwerks dadurch besser, weil es von Jahr zu Jahr an den internationalen Aktionen teurer verkauft wird, an Wert zunimmt? Natürlich weiss ich heute, dass es einen Kunstmarkt gibt, wo Angebot und Nachfrage gilt. Wehe es wird ein Werk als Fälschung entlarvt. Da geht es nur um Geld, um sehr viel Geld. Da ist etwas falsch am Laufen.

Es kommt doch auf den Genuss an, den ein Betrachter empfindet, wenn er von einem Gemälde eingenommen wird. Wenn ein van Meegeren als Vermeer daherkommt und es den Betrachter in seinen Bann zieht, dann ist Kunst nur Kunst. Dann hat das Bild seinen Zweck erfüllt. Für diesen Zweck gibt es keinen Preis!

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Ein Gedanke zu „Fälschung ?“

  1. Fake und Lüge also nicht erst seit dem Internet!
    Einerseits tröstlich, andererseits sehr deprimierend!
    Die Frage nach dem Wert von Geld und Geist wird immer drängender!

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